Die "Altstadt" besteht aus nachgebauten tibetischen Häusern, in denen die immer gleichen Artikel verkauft werden: Silberschmuck, Trekkingartikel oder Trachten der Minderheiten.

Foto: An Yan

Die Neustadt sieht dagegen ganz anders aus: Breite, staubige Straßenzüge zerfurchen die Hochebene.

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Überall wird gebaut.

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Ein Blick über die Stadt, die das neue Himalaya-Paradies hätte werden sollen.

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Während früher vor allem die großen Städte wie Peking, Shanghai und Xi'an Touristenmagnete waren, wird Yunnan von der chinesischen Regierung seit einigen Jahren immer stärker als exotisches Reiseziel promotet. Die Zahl der Touristen, die den Südwesten Chinas besuchen, nimmt stetig zu. Die beliebtesten Reiseziele der Provinz sind Dali, Lijiang und Shangri-La. Dali und Lijiang sind dank guter Zug- und Busverbindung sehr bequem erreichbar. Nach Shangri-La wird bereits seit Jahren eine Schnellstraße gebaut, aber das schwierige Terrain in den Bergen verlangsamt die Fertigstellung. Doch die Stadt ist mittlerweile durch geschicktes Tourismusmanagement so berühmt, dass genug Reisende stundenlange Fahrten in Bussen, die mit zehn Stundenkilometern enge Straßen entlang der Bergpässe bewältigen, auf sich nehmen.

Neuer Name, Neues Glück

Shangri-La ist das beste Beispiel für die strategische Leistung der chinesischen Tourismusindustrie. Als Zhongdian fristete die kleine tibetische Stadt und der gleichnamige Bezirk an der Grenze zur Autonomen Region Tibet jahrelang ein touristisches Schattendasein. Erst die gezielte Neubenennung durch die Regierung im Jahr 2001 in das poetische "Shangri-La" (Xiānggélǐlā) öffnete die Stadt dem Massentourismus. Shangri-La ist natürlich keine Erfindung der Volksrepublik China. Der Name beruht auf einem fiktiven Ort in James Hiltons Roman "Lost Horizon". Das Werk erschien 1933 und beschreibt einen paradiesischen buddhistischen Bergort. Shangri-La ist noch immer die Quintessenz der Himalaya-Exotik.

Hilton würde sich im Grab umdrehen...

Das literarische Shangri-La ist eine Illusion, eine Wunschvorstellung des Autors. Das chinesische Shangri-La dagegen ist eine Farce, eine Fassade. Die Altstadt beherbergt längst keine Bewohner mehr, sondern quillt vor Souvenirläden und Restaurants über. Freunde, die vor einigen Jahren dorthin reisten, bestätigen mir: Die "Altstadt" hat bis vor kurzem so auch noch nicht existiert. Solche "neuen Altstädte", die das Bedürfnis nach vermeintlich geschichtsträchtigen Orten befriedigen sollen, gibt es immer häufiger. Der Tibet-Kitsch ist in Shangri-La allgegenwärtig. Große vier- und fünf Sterne Hotels werden im Stil von tibetischen Tempeln gebaut, Touristen drängen sich durch die Gassen, um die ewig gleichen Souvenirs zu kaufen. Das Essen ist eine bunte Mischung aus westlicher, Han-chinesischer und panasiatischer Speisekarte, und es ist schwer, authentisches tibetisches Essen zu bekommen.

Abends werden "original Minoritäten-Tänze" angepriesen, und an den Hauptplätzen tanzen Tibeter und Naxi für die Touristen. Um diesen Stadtkern herum wuchert mit rasender Geschwindigkeit eine Neustadt, die selbst für eine chinesische Stadt apokalyptisch wirkt. Das Ausmaß des Wachstums wird mir nach der Ankunft in Shangri-La schlagartig bewusst. Mein Reiseführer ist vier Jahre alt und vollkommen nutzlos, denn ich kann nur die Hauptstraße der Karte wiederfinden, alle anderen Namen und Straßen haben sich geändert. Als wir - wie die meisten Touristen - mit dem Fahrrad die Umgebung erkunden wollen, geben wir fast auf, denn das Atmen ist kaum möglich. Die Luftverschmutzung ist enorm, und der Staub der zahlreichen Baustellen macht einen Mundschutz unerlässlich. Zudem haben fast alle besichtigungswürdigen Orte so hohe Eintrittspreise, dass einem ohnehin die Lust vergeht, weiße Yaks, trockene Seen oder andere Kuriositäten zu begutachten. Erleichtert verlassen wir nach einem Tag Shangri-La und hoffen, so bald nicht mehr widerkehren zu müssen.