Wien - Die produktive Kraft der Langeweile wurde oft unterschätzt. Aber auch Horst P. Horst hat ihr seine Karriere in der Modefotografie zu verdanken. Der Bürgersohn wollte Architekt werden, das entsprechende Praktikum absolvierter er nicht irgendwo, sondern bei Le Corbusier in Paris. Es langweilte trotzdem. So streunte er durch Museen und Galerien und lernte dort den Vogue-Fotografen George Hoyningen-Huene kennen. Er wurde sein Liebhaber, Modell, Assistent und später auch sein Nachfolger bei der Vogue. In der Ausstellung Vanity sticht eine seiner, mit starken Licht-Schatten-Effekten spielende Arbeiten heraus: ein surrealistisches Interieur mit Modellen, die auf schwindligen Podesten drapiert sind. Dalí entwarf das Setting 1947 für die Vogue. Da waren die Freunde schon ein erprobtes Duo: Bereits 1939 hatte er für die Weltausstellung die Dalí Costumes ins rechte Licht gesetzt.
Auch bei vielen anderen präsentierten Modefotografen der Sammlung F. C. Gundlach ist die Inspiration der bildenden Künste offensichtlich. Surrealistisch liebte es auch einer der höchstdotierten Fashion-Fotografen der 1950er-Jahre, Erwin Blumenfeld; Melvin Sokolskys berühmteste Aufnahmen, die Bubble-Serie 1963 für Harper's Bazaar, ließen die Modelle wie Elfen in Seifenblasen erscheinen. Sie sind von einem Detail in Hieronymus Boschs Garten der Lüste inspiriert; trotzdem erinnern sie stark an die späteren Inflatables von Vertretern der utopischen Architektur.
Ebenso beim Sammler F. C. Gundlach selbst - gefragter Fotograf der 1960er- und 1970er-Jahre, - sind die Bezüge, etwa zu Roy Liechtenstein und andern Pop-Artisten, deutlich. Zum Teil wären sie "reine Op-Art", stellt Gundlach Ebenbürtigkeit zur Kunst her.
In Vanity hängen seine Arbeiten, etwa seine Modestrecken für die Brigitte, nun im musealen Rahmen - allerdings etwas abseits im Halleneck und also jenseits des historischen Abrisses. Der beginnt in den 1930er-Jahren und lässt daher frühere Modeausflüge von Edward Steichen oder Man Ray vermissen. In den 1990er-Jahren franst die Schau aus, wird beliebig - etwa mit dem Gundlach-Schüler Armin Morbach und Kristian Schuller. Von Letzterem sind die im Rahmen der Heidi-Klum'schen Topmodel-Suche entstandenen Fotos zu sehen. Besser man hätte die brave Chronologie früher abreißen lassen.
Immerhin lässt sich so der veränderte Blick auf das Objekt Frau ablesen: Begehren zu schaffen, das liegt freilich in der Natur der Modefotografie; aber an die frühen statuengleichen Ladys ließen sich Attribute wie Eleganz, Stärke, Geheimnis oder Geist knüpfen. Im Plastikpüppchen-Umhang wirkt jede Frau einfach nur billig.
Geschlechterdiskurse führt diese Ausstellung jedenfalls keine; sie bildet ab. Dass sich in der Mode als unmittelbarem Ausdruck des Körperlichen, Genderdebatten und die Auflösung zwischen klassisch Weiblichem und Männlichem abbilden, daran knüpft die zweite Ausstellung zum Fashion-Schwerpunkt an: No Fashion, please. Die Mode wird in den Fotos tatsächlich zur Nebensache, auch weil nur eine Handvoll ihrer Urheber (u. a. Jeff Bark, Izima Kaoru, Erwin Olaf, Viviane Sassen) tatsächlich für die Modemaschine arbeitet. Hier schließt sich die Liaison Dangereuse zwischen Mode und Kunst zu einem Kreislauf gegenseitiger Befruchtung. Der von Fergus Greer abgelichtete Grenzgänger des Körperkults, Leigh Bowery, inspirierte mit seinen extravaganten Performances Designer wie Vivienne Westwood oder Alexander McQueen.
Nackt, pornografisch, queer, morbid - die Stimmungen, die hier erzeugt werden, sind immer extrem; sie leben von den Geschichten, die sie implizieren. Geschichten, die Images kreieren. Und damit verkauft man Mode. Tiefgang für die Oberfläche. Oder so wie Martin & The evil eyes of Nur trällern: "Always handsome, always fit, to be your favorite piece of meat." (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2011)