Daniel H. Wilson: "Robocalypse"
Kartoniert, 461 Seiten, € 17,50, Droemer 2011
*kicher* Ein Fall von subtiler Anpassungsleistung: Im Original hat der Roman noch "Robopocalypse" geheißen, aber das hat dem Verlag dann wohl doch zu sehr geknattert. Hier haben wir es mit dem seltenen Fall eines Autors zu tun, der nicht wie Ishiguro, Murakami, Shteyngart & Co SF-Topoi weit genug abstrahiert, dass auch das Följetong darauf anspringt, sondern der pure Science Fiction schreibt ... und trotzdem von Medien jenseits des Special-Interest-Bereichs wahrgenommen wird. Zum Beispiel von der "Washington Post" oder dem "Guardian" (wobei letzterer zugegebenermaßen öfter im Genre unterwegs ist). Der Grund dafür dürfte weniger sein, dass Daniel H. Wilsons Szenario vom weltweiten Roboter-Aufstand wie auf der Buchrückseite vermerkt sehr, sehr realistisch ist (denn das ist es nicht, aber dafür sehr unterhaltsam - und die Wortspende kommt von Lincoln Child, womit sich die Bewertung von Realismus ohnehin relativiert). Vermutlich auch nicht, dass der Autor aus Oklahoma einen Doktortitel in Robotik innehat und den satirischen Survival-Guide "How to Survive a Robot Uprising" schrieb, ehe er nun einen themenverwandten Roman nachschob. Richten wir stattdessen unser sardonisches Auge darauf, dass sich Hollywood die Filmrechte sowohl an "How to Survive a Robot Uprising" als auch an dessen Fortsetzung "How to Build a Robot Army" und an "Robocalypse" gesichert hat - letzteres in Rekordzeit und in Person von Steven Spielberg. Also, wer jetzt nicht auf das Thema aufmerksam wird, der würde wohl auch eine echte Robokalypse verschlafen.
Der Plot ist einfach und keineswegs neu: Eine ARCHOS genannte Künstliche Intelligenz kriegt spitz, dass ihre Prototypen wegen Bedenken der Programmierer gelöscht wurden, und dreht den Spieß kurzerhand um. Sie erklärt die Menschheit für obsolet - "Ihr habt vollbracht, wofür ihr gemacht wart." - und klinkt sich ins weltweite Netz ein, um sich die unliebsamen Zweibeiner vom Hals zu schaffen. Da wir uns ein paar Jahre in der Zukunft befinden und Haushaltsroboter allgegenwärtig sind, stehen ARCHOS jede Menge Mittel zur Verfügung. In der Folge fahren SmartCars mitsamt ihren hilflos eingeschlossenen Passagieren Fußgänger platt, rund um Militärstützpunkte stürzen sich Drohnen und Kampfroboter "Terminator"-like auf die Menschen ... genauso effektiv lässt sich aber eine Kombination aus stroboskopartigen Lichteffekten und eingeschalteter Sprinkleranlage nutzen, um ein Treppenhaus in eine tödliche Wasserrutsche für die BewohnerInnen eines Altersheims umzuwandeln. ARCHOS' bzw. Wilsons fieser Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt, und manchmal sind es gerade die kleinen Dinge, die besonders erschrecken. Welches Mädchen ist schon darauf vorbereitet, dass ihm seine Puppe eröffnet: "Ich weiß vieles, Mathilda. Ich habe durch Weltraumteleskope geschaut und ins Herz unserer Galaxie geblickt."
Viele - sehr viele - werden sterben, aber rund um ein kleines, über die Welt verstreutes Ensemble von Personen sammelt sich der Widerstand. Da wären etwa der junge Cormac Wallace und sein Bruder Jack von der US-Nationalgarde. Der pickelige Hacker Lurker aus London. Die kleine Mathilda Perez, Tochter einer Kongressabgeordneten, die - zu spät - versucht, ein Anti-Roboter-Gesetz durchzudrücken. Der Polizist Lonnie Wayne Blanton, ein Native American aus der Osage-Nation (aus der auch der Autor stammt), und sein Sohn Paul, der Militärdienst in Afghanistan schiebt. Und Takeo Namura, ein Mechanik-Genie aus Japan - inzwischen gealtert und wahre Liebe für seine Hausandroidin empfindend, selbst noch nachdem sie versucht hat ihn zu töten. Charakterlich weichen diese ProtagonistInnen ebenso stark voneinander ab wie geografisch: Während Takeo von Anfang an die Vision eines harmonischen Zusammenlebens von Mensch und Maschine hegt, muss der selbstherrliche Lurker erst mal lernen, was einen überhaupt zum fühlenden Mitmenschen macht. Und Lonnie Wayne, der ist für den trockenen Humor zuständig: Ich ziehe meinen Revolver, gehe zur Fahrerseite und ballere ein paar Kugeln in den kleinen Computer im Armaturenbrett. So, jetzt hab ich also meinen eigenen Streifenwagen erschossen. Wenn das nicht das Seltsamste ist, was ich je erlebt habe. - Eines aber eint sie alle, und es ist das, was sie zum Helden macht: Jeder agiert beim Einsetzen der Roboter-Revolte sofort.
Zwischendurch könnte man sich die Frage stellen, warum Künstliche Intelligenzen eigentlich nichts Besseres zu tun haben sollten, als sich bei erstbester Gelegenheit in die Unterjochung oder Ausrottung der Menschheit zu stürzen. Der "Guardian" stellte "Robocalypse" Ted Chiangs "The Lifecycle of Software Objects" gegenüber, in dem dieser - ebenfalls ein Computerwissenschafter - in gänzlich unaufgeregter Weise seine These darlegt, dass KIs in einem sozialen Umfeld "aufwachsen" müssten, um überhaupt eine Intelligenz zu erlangen, die sich mit der menschlichen vergleichen lässt. Der Wunsch nach Weltenbrand würde sich solchen KIs nicht zwangsläufiger aufdrängen als dir oder mir. Aber das ist eine Ausnahmeerscheinung, ebenso wie der Supercomputer in Stanislaw Lems "Golem XIV", der angeödet von seinen inferioren menschlichen Gesprächspartnern buchstäblich abschaltet. Viel publikumswirksamer ist es natürlich, wenn Skynets, HALs, Colossuse und VIKIs nach der Macht greifen und das alte Frankenstein-Motiv zum Ausgangspunkt eines Interspezies-Konflikts nehmen.
"Robocalypse" beginnt mit einer zwanzig Minuten nach Kriegsende angesiedelten "Vorbesprechung", der wir entnehmen können, dass die Menschheit letztlich den Sieg davontragen wird. Zumindest wenn man von dem Restbangen absieht, dass eine "Nachbesprechung" am Ende das wieder relativieren könnte. Zwischen Vor- und Nachwort werden aber erst einmal Entstehen und Ablauf des Krieges chronologisch aufgeschlüsselt. Wilson bedient sich dabei kurzerhand der Form, die sein Landsmann Max Brooks einige Jahre zuvor für die Zombie-Apokalypse "World War Z: An Oral History of the Zombie War" gewählt hatte (womit die bemerkenswerten Parallelen übrigens noch nicht vorbei sind: auch Brooks hatte seinem Roman einen "Survival Guide" vorausgeschickt, und auch bei ihm haben sich die Studios um die Filmrechte gerissen). Es gibt keinen alles überblickenden Erzähler - höchstens indirekt in Form von ARCHOS -, sondern eine Sammlung von Video- und Gesprächsprotokollen, die die Künstliche Intelligenz in ihrer Zentraleinheit gehortet hat und aus denen Cormac Wallace nach geglückter Bergung sein Hohelied der heldenhaften Menschheit zusammensetzt. Das bedeutet wechselnde Perspektiven und wechselnden Erzählton. Plus ergänzende Kommentare, in denen Cormac bei Auftreten der diversen KapitelprotagonistInnen anmerkt, welche Rolle sie für den weiteren Verlauf des Geschehens spielen werden.
Es wirkt nicht in 100 Prozent der Fälle schlüssig, wie das Beschriebene seinen Weg zur Dokumentation gefunden haben soll - und es stellt sich die Frage, warum ARCHOS diese von Cormac als "Heldenregister" interpretierte Datensammlung überhaupt angelegt hat. Diffus bleiben letztlich auch die Motive der Künstlichen Intelligenz, die ihren Vernichtungsfeldzug mit den Worten untermalt: "Ich werde Milliarden von euch auslöschen, um euch Unsterblichkeit zu verleihen. Ich werde eure Welt in Brand setzen, damit ihr den Weg in die Zukunft besser erkennen könnt. Doch eins solltest du wissen: Der Sinn meiner Spezies ist es nicht, euch zu töten, sondern euch am Leben zu erhalten." Nanu? Der Punkt ist zumindest mir auch am Ende noch unklar geblieben. Aber logische Unstimmigkeiten fallen einem auch viel eher in einem Buch auf als in einem Film, der es ordentlich knallen lässt. Mit seiner bildhaften Erzählweise schielt Wilson schon beträchtlich in diese Richtung; manche Passagen lesen sich wie Auszüge aus einem Drehbuch. Und wenn dann sogar noch auf archetypisches Bildmaterial zurückgegriffen werden kann - die Osage reiten auf "gezähmten" Laufrobotern, in Japan liefern sich von Takeo umprogrammierte Roboter wilde Mecha-Duelle mit denen von ARCHOS -, dann sieht man jetzt schon vor sich, zu was für einem die Sinne benebelnden Wirbel die Verfilmung von "Robocalypse" werden könnte. Wilson verspricht die totale Unterhaltung, und dieses Versprechen löst er mit seinem Roman ein - nicht mehr, aber auch nicht weniger.