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Stimmabgabe in einem Pekinger Wahllokal: Die Farbe Rot dominiert und vermittelt eine unmissverständliche Botschaft.

Foto: EPA/Young

Fast alles, was beim Wählen wichtig ist, ist rot. Die Staatsfahne Chinas ebenso wie die Wahlurne, über der sie hängt. Die Revolutionsfarbe beherrscht den mit sozialistischen Parolen geschmückten Versammlungssaal im Straßenviertel Bajiao Beili tief im Westen Pekings. Bis 22 Uhr können die 2794 Wahlberechtigten des Stadtteils ihre Stimmen für die neuen Vertreter abgegeben. Unter vier Kandidaten dürfen sie drei bestimmen, die sie fünf Jahre in den lokalen Bezirks-Volkskongress von Shijingshan schicken wollen.

Zufrieden verkündet Wahlleiterin Xie Yinghong Mittwochfrüh das Ergebnis: 2729 oder 97,7 Prozent haben abgestimmt. Gewählt wird sehr chinesisch. Um einen Kandidaten zu unterstützen, muss ein Kreis neben dessen Namen gemalt werden. Ihn anzukreuzen bedeutet, ihn abzulehnen.

Sanft nachgeholfen

Der Wahlbegeisterung wird sanft nachgeholfen. Eine lange Wählerschlange entpuppt sich als komplette Belegschaft einer in Bajiao ansässigen Firma. Alle haben eine Stunde Arbeitspause erhalten, damit sie wählen gehen.

So wie in Bajiao geht es in allen Kreisen und Landgemeinden Pekings zu. 21.760 Kandidaten stellen sich für die lokalen Volkskongresse zur Wahl. Überall sind ein Viertel mehr Kandidaten aufgestellt, als gewählt werden dürfen. Am Mittwoch gibt es dann 14.290 neue lokale Volksvertreter.

Im Mai haben Chinas Lokalwahlen begonnen. Es dauert fast ein Jahr, bevor alle 31 Provinzen abgestimmt haben. 900 Millionen Bürger werden mobilisiert, um zwei Millionen Lokaldeputierte für 30.000 Gemeinde- und 2000 Bezirkparlamente zu wählen. Alle Kandidaten sind entweder von der Partei, Verbänden oder Arbeitsstätten bis Universitäten nominiert und von den Wahlkomitees bestätigt worden.

Dazwischen aber sprießt ein demokratisches Pflänzchen. Die erste Riege unabhängiger Kandidaten, Akademiker, Anwälte, Bauernaktivisten, läuft sich warm. Vor zehn Jahren entwickelte sich die neue Bewegung, als das Wahlgesetz eine Kandidatur nur von der Unterstützung durch mindestens zehn Wahlberechtigte abhängig machte. Seither versuchen Aktivisten ihr Glück. Im Internet und in Mikroblogs wird der Ruf nach echten Volksvertretern lauter.

Für die Pekinger Wahlen kandidierten rund 30 unabhängige Bewerber, sagt der an der Universität Beida arbeitende Jurist Xiong Wei. Von ihnen konnte nur die bäuerliche Aktivistin Xu Xiangyu im Daxing-Distrikt auf die Wahlliste kommen. Sie verlor die Wahl. Andere Kandidaten scheiterten schon vorher an Schikanen der Behörden. Auch Xiong Wei, unabhängiger Kandidat im Stadtteil Haidian, kam zwar auf einen Listenplatz, nicht aber auf die endgültige Wahlliste. Er vertraut dennoch auf die Zukunft und die Macht der Aufklärung: "Wir haben jetzt einen Anfang gemacht." (DER STANDARD Printausgabe/10.11.2011)