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Täglich ein neuer Favorit für das Amt des Regierungschefs: Mittwoch wurde Parlamentspräsident Filippos Petsalnikos Frontrunner.

Foto: Reuters/Yannis Liakos

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Grafik: APA

Die Griechen sind zunehmend frustriert: Die Suche nach einem neuen Regierungschef zieht sich länger als erwartet hin. Auch nach dem Rücktritt von Premier Papandreou ringen Sozialisten und Konservative um eine Einigung.

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Der bärtige Verkäufer Vassilis Kiezoglou ist eine absolute Ausnahmeerscheinung in Athen. Er tut gleich zwei Dinge, die dieser Tage kaum jemand in der griechischen Hauptstadt macht: Er findet lobende Worte für die Politik, und er ist mit dem wirtschaftlichen Umfeld zufrieden.

Zweiteres fällt ihm leicht: Kiezoglou arbeitet unweit des Zentrums in einem kleinen Geschäft, das Ketten, Ringe, Edelsteine und überhaupt alle Arten von Schmuck und Gold ankauft. Im Rest Griechenlands sinken die Löhne. Offiziell sind inzwischen fast eine Million Menschen, also jeder Fünfte, ohne Job. Doch in Kiezoglous Geschäft läuft's gut: "Seit Krise ist, steigt unser Umsatz stark an. Alle brauchen Bargeld, seit dem das Land spart."

Das mit dem Lob für die Politik fällt dem Verkäufer derzeit besonders schwer. Seit dem Wochenende streiten die griechischen Sozialisten (Pasok) mit der konservativen Nea Dimokratia über die Bildung einer neuen Regierung. Immer wieder hieß es, dass der Durchbruch bei den Verhandlungen gelungen sei. Jede Ankündigung wurde dann wieder und wieder zurückgezogen. "Die Sache ist eben komplex. Aber ewig kann das Ganze nicht mehr dauern" , hofft Kiezoglou.

Am Mittwoch sah es so aus, als würde er sich irren. Am späten Nachmittag trat Giorgos Papandreou im Fernsehen auf und verkündete nur das, was ohnehin schon alle wussten: seinen Rücktritt als Regierungschef. Der neue starke Mann in der Pasok scheint damit Finanzminister Evangelos Venizelos zu sein. Am Abend deutete der frühere griechische Finanzminister und derzeitige Umweltminister Giorgos Papakonstantinou (Pasok) im Gespräch mit europäischen Journalisten an, dass Parlamentspräsident Petsalnikos neuer Premier werden könnte.

Der ursprüngliche Wunschkandidat der Pasok für das Amt des Premiers, der frühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Lucas Papademos, stellte eine Reihe nur schwer erfüllbarer Forderungen. So bestand der in Griechenland unbekannte Papademos auf eine Amtszeit über den Februar 2012 hinaus. Besonders die Nea Dimokratia drängt auf rasche Neuwahlen. Derzeit liegt sie in den Meinungsumfragen voran. Zudem wollte Papademos selbst Minister ernennen.

Amerikaner bestimmen

Das ging sowohl Pasok als auch der Nea Dimokratia zu weit. So tauchten im Poker um das wichtigste Amt immer neue Namen auf. Am Mittwoch wurde der Präsident des Europäischen Gerichtshofs, Vassilios Skouris, als Kandidat gehandelt. Ebenfalls im Rennen: Parlamentspräsident Filippos Petsalnikos.

Als eines der großen Fragezeichen gilt in Griechenland, ob sich die traditionell verfeindeten Sozialisten und Konservativen überhaupt auf eine effektive Regierung einigen können. Oppositionschef Samaras ließ am Abend schon vor der Neubildung der Regierung eine gewisse Distanz zu ihr erkennen. Die Pasok solle alleine entscheiden, wen sie zum Regierungschef mache, er selbst habe keine Präferenzen, sagte Samaras.

Die Hauptaufgabe der neuen Regierung wird es sein, die Beteiligung des Privatsektors an der Entschuldung des Landes auszuhandeln. Zudem muss im Dezember das Budget für 2012 beschlossen werden. Ohne neue Regierung wird die Eurozone die nächste Kredithilfe von acht Milliarden Euro nicht freigeben. Auch hier verzögern sich die Gespräche: Die Eurozone verlangt schriftliche Reformgarantien. Samaras scheint sich dem zu verweigern.

Auf der Straße in Athen nehmen die Menschen das politische Gezerre resignativ hin. "Da werden ohnehin nur ein paar Gesichter ausgetauscht. Die Politik wird die gleiche bleiben wie bisher" , meint der Kellner Kostas, der in einem schäbigen Touristenkaffee arbeitet. "Was unsere Regierung zu tun hat, bestimmen jetzt sowieso die Amerikaner" , sagt seine Kollegin Sophia mit Blick auf den Internationalen Währungsfonds.

Auch am Syntagma-Platz beim Parlament ist die Wut einer Apathie gewichen. Die Demonstranten, die wochenlang vor dem Parlament campiert haben, sind verschwunden. (András Szigetvari aus Athen, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2011)