In der Substanz enthält der neue Iran-Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) das, worin Experten längst übereinstimmen: dass der Iran an allen technischen Aspekten einer Nuklearwaffe arbeitet oder gearbeitet hat. In den Details enthält der Bericht eine erdrückende Beweislast gegen den Iran und dessen Versicherungen, den Atomwaffensperrvertrag nicht verletzt zu haben. Die IAEO legte dabei Wert darauf, den Glaubwürdigkeitsgehalt der Informationen zu begründen, und das ist nach den Irak-Erfahrungen gut so (wobei die IAEO damals bei den falschen "Beweisen" nicht mitmachte).

Was nicht im Bericht steht und was manche Iran-Hardliner, die den Bericht sonst erfreut begrüßen, vermissen werden, ist die Aussage, dass der Iran bereits in der Lage ist, eine einsatzfähige Bombe zu bauen. In einem vertraulichen Arbeitspapier der IAEO wurde diese Behauptung 2009 aufgestellt - die für manche zu hypothetisch blieb und deshalb keinen Eingang in den Bericht gefunden hat. Überhaupt ist der Versuch zu bemerken, trotz der Faktenlage auch den Kritikern entgegenzukommen, indem man hin und wieder etwa ein pleonastisches "möglich" einfügt, wie in der Formulierung "starke Hinweise auf eine mögliche Waffenentwicklung".

Die Gegner dieses Berichts sind davon unbeeindruckt. Die Reaktion Russlands greift gleich zwei Aspekte der ganzen Debatte auf: erstens, man werde zusätzliche Sanktionen nicht mittragen. Der Aufbau eines Szenarios vor Erscheinen des Berichts, das einen Militärschlag gegen den Iran möglich oder sogar wahrscheinlich erscheinen ließ, hatte in erster Linie die Funktion, eine neue Iran-Sanktionsrunde im Uno-Sicherheitsrat als letzte Option vor einem Krieg darzustellen. Da scheint Russland aber zumindest nach jetzigem Stand nicht mitzumachen.

Die Begründung dafür - und das ist zweitens - ist vielsagend: Eine Sanktionsverschärfung würde auf "Regime change"-Pläne hinauslaufen. Die russische Sensibilität - wie die chinesische - liegt nicht zuletzt in Libyen begründet, wo sich die beiden Vetomächte durch die Auslegung des Interventionsmandats für die Nato, das sie durch ihre Stimmenthaltung zugelassen hatten, betrogen fühlten. Jetzt geht eben gar nichts mehr, auch in Syrien nicht - und die beiden Fragen hängen natürlich auch insofern zusammen, als mit Bashar al-Assad ein Partner des Iran gefährdet ist. Russland wittert ein Riesenmanöver, mit dem der Status quo in der Region verändert werden soll.

In Israel - wo der Bericht, zu dem zweifellos auch der eigene Geheimdienst beigesteuert hat, wenig Neuigkeitswert haben dürfte - werden nach dem Hype der vergangenen Tage jetzt einmal die Optionen sortiert. Noch ist, so dramatisch der Bericht klingt, keine Gefahr im Verzug. Das Szenario eines Militärschlags, so "logisch" es im innerisraelischen Diskurs der Begin-Doktrin klingt - Feinde müssen mit allen Mitteln daran gehindert werden, eine nukleare Option aufzubauen -, ist ja eigentlich fast unvorstellbar.

Mit einem kurzen Militärschlag gegen ein einziges Ziel wie im Irak 1981 und in Syrien 2007 ist im Iran nichts zu machen. Und da das Regime eine länger andauernde Militäroperation wohl nicht geduldig über sich ergehen lassen würde - was wiederum die Angreifer veranlassen würde, gleich am Anfang Irans Reaktionsmöglichkeiten auszuschalten -, liefe alles auf einen ausgewachsenen Krieg hinaus, mit völlig unabsehbaren Folgen. (DER STANDARD Printausgabe, 10.11.2011)