Damit gelingt es ihm, die Fallhöhe des Glücks auf sehr überzeugende Weise darzustellen.
Wien - Das erste Lied, das Dean für Cindy singt, ist ein Ständchen, das mit einer Aufforderung zum Tanz verbunden ist. Er wird es ein wenig albern singen, sagt er, anders könne er das nämlich nicht. Was folgt, begleitet vom lustigen Klang einer Ukulele, ist einer der hinreißendsten Szenen von Derek Cianfrances Liebesdrama Blue Valentine. Vor dem Eingang eines Kleidungsladens in Brooklyn intoniert Dean seinen Song mit einer Stimme, die klingt, als käme sie von einer Schellackplatte, während Cindy lachend zu steppen beginnt. Wer genau hinsieht, entdeckt ein Herz an der Tür des Shops.
Die ersten Szenen von Blue Valentine spielen Jahre danach und fühlen sich ganz anders an. Dean und Cindy sind verheiratet und leben mittlerweile am Land. In einer Alltagsszene, früh am Morgen, wird anschaulich, dass zwischen den beiden eine untergründige Spannung herrscht. Dean albert mit der kleinen Frankie herum, Cindys Tochter, zu der er wie ein echter Vater ist. Cindy selbst steht ein wenig außerhalb dieses Miteinanders, ein Eindruck, der sich in weiterer Folge erhärten wird.
Es ist eine eigentlich simple Idee, den Anfang und das sich anbahnende Ende einer Beziehung miteinander zu konfrontieren. Das Schwierigste daran ist vielleicht, es emotional plausibel zu erzählen. Denn die Unbeschwertheit des Verliebtseins muss im langsamen Fade-out noch wie eine Erinnerung enthalten sein. Ebendies gelingt Derek Cianfrance in seinem zweiten Spielfilm auf sehr überzeugende Weise, erschließt sich die Fallhöhe dieser Liebe doch erst in der Montage zweier Gegenwarten.
Während sich das Paar in der Jetztzeit aufmacht in eine lange Nacht, um sich in einem futuristischen Themen-Hotelzimmer zu betrinken, wandert der Film immer wieder in Rückblenden an den Anfang. Der erste Flirt, ein Wiedersehen im Bus, der Härtetest, als Cindy erfährt, dass sie schon von einem anderen schwanger ist. Die Schnitte sind hart gesetzt, oft braucht man daher Zeit, um sich zu orientieren, was den Eindruck des Nebeneinanders der Zeiten noch verstärkt.
Cianfrances Stil ist der eines lyrisch überhöhten Realismus, der im US-Independent-Kino schon ein wenig zur Marke geworden ist. Dennoch schafft er Figuren, die mit sozialen Milieus übereinstimmen. Cindy, das Mädchen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, das vor den Eltern ganz kleinlaut wird; Dean, der Herumtreiber, der bei seinem Vater aufgewachsen ist. Mehr als um äußere Bestimmungen geht es jedoch um ein Lebensgefühl, um eine bestimmte Sensibilität.
Ryan Gosling und Michelle Williams, die beiden Offbeat-Stars des Films, sind dafür ein ideales Paar, weil sie eben beides haben: Erdung und diese Eigenschaft, plötzlich alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Williams versteht sich auf solche unscheinbare Präsenz. In Blue Valentine gibt sie kühl und doch voller dreistem Charme den vernünftigeren Teil dieses Paares. Sie möchte Ärztin werden, Goslings Dean ist dagegen ein entwaffnender Träumer, der sich über nichts anderes als seine Gefühle und die Familie definiert, was für Cindy irgendwann zu wenig ist.
In der Spätphase ihrer Beziehung hat sich seine Leichtigkeit merkbar abgenützt. Er wirkt nachlässig, trinkt - dass er sich meist hinter Sonnenbrillen versteckt, ist fast schon zu viel des Guten. Dennoch sind die Szenen der beiden im Hotelzimmer, in denen sich ihr unterschiedliches Begehren schmerzhaft artikuliert, von großer Eindringlichkeit.
Die Kamera von Andrij Parekh akzentuiert den Riss zwischen Dean und Cindy zusätzlich dadurch, dass sie oft einen der beiden in die Unschärfe drängt. Weder der Alkohol noch die körperliche Nähe vermögen die Vergangenheit wiederherzustellen. Es gibt keinen Weg zurück. Wenn der Moment des größten Krachs mit Aufnahmen des Hochzeitstags konterkariert wird, ergibt das durchaus Sinn. Zwei Höhepunkte, nach denen alles anders wird. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe, 11.11.2011)