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Technokratie als Herrschaft von Experten. Eigentlich sollten man ja hoffen dürfen, dass sich Experten an den Hebeln der Macht tummeln. Aber hinter dem Konstrukt einer technokratischen Gesellschaft steckt natürlich weit mehr. Neben der Ausrichtung an Sachzwängen, deren Erreichung das Ziel der Gesellschaft ist, gibt es auch noch andere Defitinitionen einer Technokratie. Zum Beispiel die Durchsetzung einer technizistischen Verhaltensprägung in der Gesellschaft, die aus einer autonom gewordenen Technik kommt. Und an dieser Definition orientiert sich auch das Bild von Roboter Toomas.

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Griechenland, die Wiege der Demokratie, sucht gerade nach einem neuen politischen Rezept, um aus der Krise zu kommen. Eine - zumindest teilweise - technokratische Notregierung steht in den Startlöchern. Eine Regierung also, die nicht demokratisch gewählt ist und die teils aus Experten, teils aus Politikern bestehen soll. Technokratie, oder besser gesagt: technokratische Konzepte sind eigentlich nichts Neues. Und man findet sie auch allerorts.

Historisch betrachtet ist die Technokratie ein relativ junges Modell. Seit Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts beginnen sich Wissenschafter und Ingenieure zuerst in den Vereinigten Staaten mit technokratischen Ideen auseinandersetzen. Zentraler Punkt ist, dass die aus Eigentum legitimierte Herrschaft im kapitalistischen System enden werde. Sie werde letztlich ersetzt werden durch eine Herrschaft über Funktion, Expertentum oder Sachverstand, glaubten die frühen Technokraten.

Sachzwänge

Technokratische Konzepte orientierten sich immer an Sachzwängen, erklärt Gerhard Senft, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der WU Wien, im Gespräch mit derStandard.at. Es gibt Ziele, und die gilt es zu erreichen. Damit einher gehe aber auch eines der größten Mankos von Technokratie: Das Hinterfragen der Ziele gibt es nicht. Am Beispiel Griechenlands ist der Sachzwang wohl offensichtlich die enorme Staatsschuld, die man abbauen will, um sich selber nicht wirtschaftlich in den Ruin zu manövrieren.

Die demokratisch gewählte Regierung Griechenlands hat es nicht auf die Reihe gekriegt, das Land aus der Misere zu bugsieren, beziehungsweise ist auch mit Schuld an dem ganzen griechischen Drama. Mittlerweile ist das Kabinett unter dem Sozialisten Giorgos Papandreou zurückgetreten, der Weg für die Übergangsregierung unter der Führung von Ex-EZB-Vizepräsident Loukas Papademos - dem Experten - bereitet.

Hier eröffnet sich eine weitere Problemtüre in der historischen Theorie technokratischer Konzepte: Sie seien tendenziell demokratiefeindliche und autoritäre Modelle, erklärt Senft. Die geistigen Väter technokratischer Idee gingen immer davon aus, dass die Macht bei Eliten liegt, die aufgrund ihres Expertentums mehr befähigt scheinen als andere. "Für Technokraten ist die Zentralisierung der Gesellschaft wichtig, und es gibt eine enorme Abwehrhaltung gegenüber Demokratien", so Senft. "Eine bestimmte Klasse in der Gesellschaft soll entscheiden, es geht um eine rational organisierte Gesellschaft, die von oben gesteuert wird." Das schließe in der Theorie weitgehend ein Initiativrecht der Bürger aus. Es gehe letztlich immer darum, ein Modell der totalen Gesellschaftsverwaltung zu entwerfen. Dem modernen Kapitalismus komme die Eigentümerunternehmerfunktion abhanden, an deren Stelle treten Verwalter und Manager als neue herrschende Klasse. 

Keine historischen Vorzeigemodelle

Auch wenn es historisch gesehen keine reine Technokratie als Vorzeigemodell gegeben hat, haben sich technokratische Konzepte und Strukturen durchaus in vielen Bereichen durchgesetzt. "Unsere Politiker sind im engsten Sinne Gesellschaftsverwalter. Sie kümmern sich darum, wie man nach effizienten Kriterien, nach modernen kapitalistischen Anforderungen, die Gesellschaft entsprechend steuern kann", meint Senft. In extremer Ausformung zeigten sowohl Faschismus als auch Kommunismus technokratische Strukturen auf. Schon in der theoretischen Frühphase der Technokratie Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich die Vordenker immer auch mit eugenischen Maßnahmen beschäftigt: "Das perfekt organisierte technokratische System braucht auch den perfekten Menschen. Da zeigen sich ganz, ganz problematische Ausformungen, nicht nur in der Demokratiefeindlichkeit, sondern auch in Hinblick auf die 'Verbesserung der Rasseeigenschaften'", gibt Senft zu bedenken. Für die neueren Theorien einer Technokratie spielt das freilich keine Rolle mehr.

Neoliberale Reformen als technokratische Konzepte

Durchgesetzt haben sich technokratische Modelle laut Senft bei den neoliberalen Reformen der letzten Jahrzehnte. Privatisierung oder Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte nennt er als Beispiele. Dabei spielen ideologische Ausrichtungen meist keine gesonderte Rolle. "Technokraten geben sich oft sehr pragmatisch. Sie sehen diese oder jene Sachgesetzlichkeit, der es dann zu folgen gilt."

Im Falle der Finanzmärkte sei man von der Prämisse ausgegangen, dass diese eben effizient seien und von alleine funktionierten. Dass dem nicht so ist, habe man in den letzten Jahren beobachten können, so Senft. Womit wieder das Problem der Nichthinterfragung der Zielsetzungen ins Spiel kommt.

Am konkreten Beispiel Griechenland sei nicht abzusehen, wie genau eine technokratische Regierung nun arbeiten werde, was sie so fundamental anders machen wird. Senft ist von dem Sparvorhaben der Griechen jedenfalls nicht sonderlich begeistert. "Ein Wirtschaftshistoriker kann diesem Konzept gar nichts abgewinnen." Die Wirtschaft werde absaufen, für Senft führe kein Weg an einem größeren Schuldenschnitt vorbei. Mit dem Sparen täten sich die Griechen keinen Gefallen, man habe einfach die nächstliegende Lösung gewählt. Doch, gibt Senft zu bedenken und zitiert das Sprichwort "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Spare in der Not, dann bist du tot." Der Historiker meint, der Sachzwang griechische Staatsschuld sei nicht in Stein gemeißelt, Sparen nicht der einzige Ausweg. "Maggie Thatchers 'there ist no alternative' stimmt einfach nicht. Man versucht das den Leuten einzureden, aber es ist nicht wahr." (Daniela Rom, derStandard.at, 10.11.2011)