Das heutige Givat Hamatos. Hier soll ein neues Stadtviertel entstehen, das jedoch weitreichende politische Konsequenzen haben wird.

Foto: derStandard.at/Hackl
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Die Containersiedlung Givat Hamatos am südlichen Rand Jerusalems wäre ein perfekter Drehort für einen Horrorfilm. Besonders kurz vor Sonnenuntergang, wenn sich das rote Abendlicht über die Blechhütten legt, fühlt man sich hier schnell verdammt allein. Menschen sind keine zu sehen, doch allerhand andere Dinge. Am Rand der Asphaltstraße rostet eine alte Bushaltestelle vor sich hin. Zwischen den Containern winden sich enge Fußwege den Hügel hinauf, die vom trockenen Gras fast zugewachsen sind. Und auf einer Wiese verrottet ein alter Kinderspielplatz, den die Natur schon vor langer Zeit verschlungen hat.

Die kleinen Blechbehausungen sind in den 90er Jahren als Übergangslösung für neue Einwanderer aufgestellt worden. Auch wenn die meisten mittlerweile umgezogen sind, leben einige auch heute noch hier. Wie Michal, die mit schmutzigen Kleidern und einer Zigarette in der Hand vor ihrem „Haus" steht, und mich freundlich dazu auffordert, einen Blick in ihr Zimmer zu werfen. Auf rund acht Quadratmetern lebt sie hier seit zwanzig Jahren im Elend. „Ich war damals Arbeitslos. Dann haben sie mir im Sozialamt diese Bleibe vermittelt", sagt sie. Außer einer zerlöcherten Schaumstoffmatte, viel stickiger Luft und einer Filterkaffeemaschine hat nichts Platz in ihrem Container. Arbeit habe sie immer noch keine. Ob sie wisse, dass hier bald tausende neue Wohnungen gebaut werden, frage ich sie. „Sowas habe ich gehört, ja. Aber für mich bauen sie sicher keine", sagt sie, während sie die Tür absperrt.

Michal wird jedenfalls bald umgesiedelt werden. Denn Givat Hamatos bekommt Nachwuchs: Rund 2600 neue Wohnungen sollen in dem Areal gebaut werden. Weitere 1400 sind geplant. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nannten den Plan „inakzeptabel" und friedenshindernd, weil es eine Siedlung jenseits der Grünen Linie ist, und damit in Ostjerusalem liegt. Aber auch weil das neue Givat Hamatos die palästinensische Stadt Bethlehem von Ostjerusalem abschneiden wird. Damit bildet es die Fortsetzung eines südlichen Siedlungsrings, der von Givat Yael bis Givat Hamatos reicht, und nach Meinung mancher Experten die Zweistaatenlösung unmöglich machen würde, jedenfalls aber ein großes Hindernis für jeden Verhandlungsweg darstellt. Schon in zwei bis drei Jahren dürften die ersten Wohnblöcke stehen. Ein Teil der Wohnungen soll dabei auch für Palästinenser aus dem angrenzenden Viertel Beit Safafa gedacht sein.

Ostjerusalem schon vergeben

Die sogenannte „Grüne Linie" diente ja bisher als Basis für ein mögliches Abkommen über Grenzen zwischen Israel und einem zukünftigen Palästinenserstaat. Doch während die internationale Gemeinschaft weiter krampfhaft versucht die alte Formel aufrecht zu erhalten, schafft Israel durch den Wohnungsbau in Ostjerusalem schon lange neue Tatsachen, die dieser Linie die Legitmität und Sinnhaftigkeit nehmen. Ein palästinensisches Ostjerusalem wird damit immer mehr zur Illusion. Das ist anscheinend im Sinne der israelischen Regierung und der Jerusalemer Stadtverwaltung, die Jerusalem als unteilbare Hauptstadt Israels sehen. Und wenn man mit dem Linienbus nach Givat Hamatos, oder in irgendeine andere Siedlung in Ostjerusalem fährt, muss man der Unteilbarkeit langsam recht geben. Zu organisch ist schon jetzt die Verbindung der israelischen Stadtteile in West- und Ostjerusalem. Um aus diesem Fleckenteppich eine vernünftige Grenze zu machen, wird man jedenfalls mehr als Stift und Zirkel brauchen.

Vor diesem Hintergrund kann es nur überraschen, dass Israel und die PLO weiterhin ihre Bereitschaft zu Verhandlungen erklären, auch wenn die Palästinenser dafür einen Baustopp von Siedlungen fordern. Denn eigentlich ist schon jetzt nichts mehr übrig, worüber man in Jerusalem verhandeln könne. Wenn es die USA nicht schaffen, Israels Siedlungsbau in Ostjerusalem aufzuhalten, werden auch sie zu den Konsequenzen stehen müssen. „Mahmud Abbas, es tut uns leid, aber Ostjerusalem ist leider schon vergeben", wäre dann eine ehrliche Aussage. Und wenn für die Palästinenser der Verhandlungsweg zur Unmöglichkeit wird, könnte Israel mit unliebsamen Alternativen konfrontiert werden. Ohne Ostjerusalem wird letztlich auch kein Palästinenserführer seiner Bevölkerung ein Abkommen mit Israel verkaufen können. (Andreas Hackl/derStandard.at, 11.11.2011)