Guido Guerrieri wird mit ungewöhnlichen Klienten konfrontiert. Ein Elternpaar, dessen Tochter vor sechs Monaten verschwunden ist, bittet ihn zu überprüfen, ob bei den polizeilichen Ermittlungen wirklich allen Spuren nachgegangen wurde. Nun weiß der Anwalt Guerrieri über Detektivarbeit nicht mehr als ein x-beliebiger Leser, und er stellt sich auch so an. Er stochert im Nebel, redet mit den Freunden der Studentin, findet ihren Ex-Lover ausgesprochen widerlich und würde sich nicht wundern, wenn der narzisstische Schnösel etwas mit dem Fall zu tun hätte. Aber da gibt es ja noch die verlogenen Freundinnen, die ihre eigenen Interessen verfolgen.

Gianrico Carofiglios etwas ängstliche, selbstkritische Hauptfigur wirkt gerade wegen ihrer Unvollkommenheiten glaubhaft. Mit den Erinnerungen an die Kindheit, die Guerrieri überfallsartig heimsuchen, lockert der Autor die Handlung auf und macht - auch wegen des Fehlens von üblichen Brutalitäten - aus dem Krimi ein gepflegtes Stück Prosa. Die Details und Reflexionen über das nicht immer ethische Handwerk des Anwalts sind aus der eigenen Berufserfahrung geschöpft: Carofiglio war in seiner Heimatstadt Bari Mafia-Staatsanwalt, derzeit ist er Mitglied des römischen Senats. Gut, dass er auch noch Schriftsteller geworden ist. (Ingeborg Sperl, www.krimiblog.at / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2011)