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Immer weniger Weißrussen können sich Fleisch leisten. Die traditionelle Fleischmesse Anfang November bot vielen Minskern eine seltene Gelegenheit, günstig einzukaufen.

Foto: Reuters/Fedosenko

Die Menschen reagieren mit Massenauswanderung.

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Moskau/Minsk - Slawa ist Techniker. Er ist Spezialist beim Aufbau von Kommunikationsnetzen und arbeitet bei einer großen Nachrichtenagentur in Moskau. Eigentlich stammt seine Familie aus Weißrussland, doch Slawa hat seit Jahren einen russischen Pass. Zu seinen Eltern fährt er allenfalls in den Urlaub nach Minsk.

"Irgendeinen Job hätte ich mit meiner Ausbildung damals wohl auch in Weißrussland bekommen, aber ob es das gewesen wäre, was ich kann und was mir Spaß macht, ist fraglich" , sagt er. Auch bei der Bezahlung hätte er wohl deutliche Abstriche machen müssen.

Viel verdienen konnten Weißrussen noch nie. Junge Männer zog es daher schon früher oft nach Russland. Andere blieben im Land, die soziale Sicherheit, die das Regime seinen Untertanen gewährte, hielt sie zurück, zumal das Staats-TV mit Reportagen aus dem "wilden Russland" die Bevölkerung schreckte

Doch nun nimmt die Auswanderung ein neues Ausmaß an. In Scharen reisen die Weißrussen auf Arbeitssuche nach Russland aus, vor allem Hochqualifizierte zieht es fort. Schätzungen nach arbeiten schon bis zu einer Million Weißrussen im Nachbarland. "Hoffentlich müssen wir nicht in einem Jahr die Ausreise von einer Million der am besten ausgebildeten Kader konstatieren" , warnt Alexander Jaroschuk, Chef des demokratischen Gewerkschaftskongresses in Weißrussland, vor einer Verdopplung der Zahlen.

Frisches Geld gedruckt

Weißrussland steckt in einer fundamentalen Wirtschaftskrise. Die Ursachen dafür sind hausgemacht. Jahrelang hat das Land über seinen Verhältnissen gelebt. Für die Sozialprogramme druckte die Nationalbank munter frisches Geld, der weißrussische Rubel blieb auf politischen Druck allerdings stabil.

Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich die Wahlkampagne 2010. Der seit 1994 diktatorisch herrschende Präsident Alexander Lukaschenko wollte sich nicht nur zum vierten Mal wiederwählen lassen, sondern strebte mit all seiner Macht auch nach einem "würdigen Ergebnis" .

Im Vorfeld spendierte er daher Lehrern, Ärzten und anderen staatlichen Angestellten eine saftige Gehaltserhöhung, um sein Wahlversprechen, das Durchschnittsgehalt der Weißrussen auf 500 US-Dollar anzuheben, einzuhalten. Anschließend ließ er sich ein Wahlergebnis von 80 Prozent gutschreiben, die Proteste der Opposition gegen Wahlfälschung wurden niedergeknüppelt, mehrere Präsidentschaftskandidaten zu Haftstrafen verurteilt.

Doch kurz nach den Wahlen waren die Kassen endgültig leer. Neue Kredite aus dem Westen konnte Lukaschenko nach seinem harten Vorgehen gegen die Demonstranten nicht ergattern. Lukaschenko musste dem Druck nachgeben und den weißrussischen Rubel abwerten.

Eine Spirale wurde in Gang gesetzt, die Minsk nicht stoppen konnte. Der Finanz- folgte die Wirtschaftskrise, Betriebe gingen pleite, viele wurden arbeitslos. Die Gehaltsaufbesserungen vor den Wahlen sind längst durch 100 Prozent Inflation und weitere Rubelabwertungen aufgefressen.

Lukaschenkos Ansehen ist tief gefallen. Heute würden nur noch 20 Prozent Lukaschenko wählen, da es keine Wahlen gibt, stimmt das Volk mit den Füßen ab. (André Ballin/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2011)