Wien - Identität lässt sich einfach herstellen: Ein "Ich" gibt es, wo auch "Du" ist, "Wir" ist nicht ohne "Ihr" zu haben. Um den Kampf oder vielmehr die Dialektik von "Wir" und "Ihr" geht es auch in Nigel Williams Der Klassenfeind. 1978 in England zum Stück des Jahres gewählt, erzählt es von einer Gruppe verhaltensauffälliger Jugendlicher, die das Lehrpersonal derart eingeschüchtert haben, dass sie nun alleine in ihrem verbarrikadierten Klassenzimmer sind. Entsprechend karg ist die Bühne im Palais Kabelwerk, ungeordnet liegt Schulmobiliar herum. Vor der angedeuteten Tür steht die Figur eines schwarzen Mannes: Der "Feind", gegen den die jungen Männer ankämpfen - und ohne den sie doch nicht sein können.
Es sind Randgruppen, Ausgeschlossene aus der "normalen" Welt, denen Manfred Michalke mit dem Wiener Vorstadttheater - integratives Theater Österreichs einen Zugang zum Kulturbetrieb eröffnet. Seit 1993 hat der Regisseur unter anderem mit Behinderten oder jugendlichen Straftätern Produktionen erarbeitet. Beim Klassenfeind ist ihm eine sehr stimmige Kombination gelungen.
Die jungen Männer werden hier von Patienten der Suchthilfeeinrichtung "Grüner Kreis" gespielt. So wird aus dem Stück auch eine Parabel auf jene, die die Gesellschaft dringend brauchen würden - und von ihr doch ausgeschlossen werden. Der Mann da draußen, heißt es einmal, "kann uns gar nicht verlassen. Weil er nämlich nie da war."
Hoffnung gibt es dennoch. Nicht nur im Stück bringen die Schüler das Chaos in eine Ordnung: Sie stellen die Stühle und Tische in Reihen auf, versuchen, sich gegenseitig zu unterrichten und sprechen über ihre Lage. Vor allem aber zeigt die Aufführung, wie das Theater Ordnung in aus der Fassung geratene Leben bringen kann. Und wie an einem solchen Abend das Drinnen und das Draußen einer Gesellschaft zusammenfinden. (Andrea Heinz / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2011)