Marcus Geiger interveniert mit viel Rot vorm und im 21er Haus.

Foto: STANDARAD / Heribert Corn

Wien - Am liebsten wäre ihm ja gewesen, man würde gar nichts machen, "aber exakt das geht nicht. Es wird ein Event werden. Das macht mich nervös. Und natürlich frage ich mich: Warum mache ich da mit?"

Aus alter Liebe zum alten 20er Haus (das am 15. 11. um 19 Uhr als 21er Haus wieder eröffnet wird) ist Marcus Geiger dann doch schwach geworden - hat für den ehemaligen Weltausstellungspavillon kilometerlangen roten Kunst-Stoff verarbeitet. Wie und was genau, wird man erst ab kommendem Dienstag sehen. Dass er von Belvedere-Chefin Agnes Husslein eingeladen wurde, verwundert jedenfalls nicht. Denn Geiger ist einer, der mit Kunstbetrieben und -orten mit irritierender Unverfrorenheit umgeht. Dem goldenen Krauthappel der Wiener Secession stülpte er 1992 eine schwarze Strickmütze über. 1998 löste er heftige Dispute aus, als er gleich die ganze Fassade in fleckigem "Rouge Vulgaire" anpinselte, während er den Hauptraum mit Nadelfilzteppichböden auslegte.

Auch eine rote Flagge hat Geiger schon gehisst, allerdings nur ein zartes, abgerissenes, angebissenes Fähnchen, das in Berlin auf dem Dach eines ehemaligen Geschäftshauses am Oranienplatz flatterte: Es war 2010 Hauptschauplatz der Berlin-Biennale, die Kathrin Rhomberg, unterstützt von Marcus Geiger, verantwortete. Die Fahne, so ist im Kunstforum nachzulesen, war "eine Geste, die nicht etwa die selbstbewusste Übernahme von Kreuzberger Immobilien durch die Kunstszene demonstrieren will, sondern eher bescheiden und freundlich im Milieu in die Runde grüßt".

Gebrauchskunstwerke sind seine Sache nicht, Geiger ist keiner, der überall dabei sein will. Lieber nichts als zu viele Kompromisse. "Kunst kommt von Kunst und ist für Kunst", sagt er, "mir geht es um den Anlass, den Raum, den Ort. Mein Thema ist Raum in Auseinandersetzung mit Kunst. Aber selbst bei Kunst im öffentlichen Raum werden die Auflagen immer komplizierter. Da, wo man jede Freiheit haben sollte, wird gebremst. Natürlich, was soll man schon dagegen sagen, wenn sich das jemand so wünscht. Aber das Meiste interessiert mich nicht. Wenn ich mir nämlich die Leute anschaue, die sich das wünschen, dann fällt mir meist nichts ein."

Statt Fotos Rot sehen

Für die  Standard-Ausgabe vom 12./13. November ist ihm dann doch etwas eingefallen; und so, wie er öffentliche und museale Räume mit radikal einfachen Eingriffen definiert, tut er dies auch im veröffentlichenden Raum der Zeitung. Weshalb Sie nun bei einigen Fotos einfach nur Rot sehen. Was steckt dahinter? Nicht mehr, nicht weniger: monochrome rote Farbflächen, die der Zeitungswelt vorübergehend ein verändertes Erscheinungsbild geben, den Fokus der Aufmerksamkeit verlagern. Die Auswahl war zufällig, der Intention des Künstlers entsprechend, nämlich "exakt banal. Ich fand es schön, Information zu reduzieren, in einer Welt, in der die Informations- und Bilderflut ständig zunimmt."

Befragt, welche Rolle Farbe in seiner Kunst spielt, sagt er: "Welche Rolle spielt Farbe generell im Leben? Mir ist keine Farbe lieber als eine andere. In Wirklichkeit ist Farbe nur immer im Gegensatz zu einer anderen wichtig, weil sie sich abhebt. Und in einem Moment leuchtet eine mehr hervor als die andere, obwohl sie den gleichen Wert hat."

Geboren 1957 im schweizerischen Muri, nördlich von Luzern, jobbte er schon mit 16, 17 Jahren in Architekturbüros, Bauen hat ihn interessiert, den Raum zu definieren, überhaupt alles, was mit Gestaltung zu tun hat. "Ich wollte ganz bestimmt nicht Künstler werden. Als ich jung war, war Kunst reduziert auf Malerei oder Bildhauerei. Danach habe ich mich nie gesehnt."

1978 kam er nach Wien, einerseits, um Architektur zu studieren, hauptsächlich aber, um dem Militär zu entkommen. Und blieb: "Ich wollte absolut nie mehr zurück. Für mich hat die Schweiz immer etwas sehr Kleinliches, Unaufgeklärtes." Statt Architektur studierte er an der Akademie der bildenden Künste Bühnenbild bei Lois Egg. Wurde Künstler, "nicht zuletzt auch, weil es damals sehr holprig und nicht anerkannt war. Das hat mir Freiraum geschaffen, für mich selber zu blödeln, Dinge auszuprobieren." Amer Abbas, heute Inhaber des Futuregarden, stellte ihn in seiner ersten Galerie auf der Tuchlauben aus; Mitte der 1980er-Jahre wurde er von Peter Pakesch entdeckt, zu dem er allerdings keinen Kontakt mehr hat; auch den zu anderen Galerien hat er abgebrochen, "die sind nur noch marktorientiert. Da geht's nur ums Geldverdienen. Darüber wird dann auch ständig geredet."

Gut, natürlich würde man mit der Kunst gern genug Geld verdienen, "aber wir leben von Jobs, Kellnern, Ausstellungsaufbauten in Museen". Die wiederum langweilen ihn in ihren Wettkämpfen um die spektakulärere Show und die größeren Blockbuster, das Museumsquartier findet er geradezu abstoßend. "Wenn schon so viel Kraft und Mittel verwendet werden, könnten sie in etwas anderes fließen. Das Geld geht bei allen Institutionen in Strukturen und kommt nur selten bei den Künstlern an."

Zukunft des 21er Hauses

Deshalb erinnert er sich auch gerne an das alte 20er Haus. Für ihn war es ein "schwerst kunstgeprägter Ort, ein bisschen verkommen, aber er stand für die Moderne. Er hatte Autonomie, Spannung. Jetzt ist es ein geschliffener, funkelnder Kristall. Das ist ein bisschen mein Bedenken." Kurze Pause. Dann: "Aber die Realität ist eben so. Das Haus ist noch da. Und es ist immer noch schön. Es gibt nach der Renovierung immer noch massenhaft Fehler, die vielleicht auch einmal schön werden. Und in zehn Jahren schaut es sowieso wieder ganz anders aus."   (Andrea Schurian   / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2011)