Der Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hat höchste Alarmbereitschaft ausgelöst: Der Iran nimmt "laut sorgfältig und kritisch geprüften Informationen" Kurs auf die Bombe, arbeitet bereits am Design eines Atomsprengkopfes und auch an den nötigen Trägerraketen. Obwohl nach glaubwürdigen Berichten der Iran bereits innerhalb eines Jahres eine Bombe und anschließend in sechs Monaten sogar weitere bauen kann, lehnen Russland und China neue Strafmaßnahmen ab. Handfeste wirtschaftliche und machtpolitische Interessen spielen in diesem Fall ebenso eine ausschlaggebende Rolle wie bei der Ablehnung der Sanktionen gegen das blutrünstige Assad-Regime in Syrien.

Der amerikanische strategische Denker Thomas Schelling erinnerte mehrmals daran, dass das Tabu des Einsatzes von Atomwaffen uns bisher vor deren Einsatz geschützt hat. Dank des Tabus und nicht auf Grund einer utilitaristischen Berechnung der Gewinne und Verluste würden diese Waffen nicht eingesetzt werden. Gilt aber dieses Tabu auch für den unberechenbaren "Gottesstaat"? Kann dem Mullah-Regime und dem maßlos rasenden Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nejad überhaupt rationales Handeln zugetraut werden? Iran sei entschlossen, Israel, dieses "zionistisches Gebilde auszulöschen, sagte der Präsident-Wüterich mehrmals.

Der IAEA-Bericht ist eine schallende Ohrfeige für jene von Moskau bis Wien, die die militärischen Dimensionen des iranischen Atomprogramms kleinreden. Dieses ist auch ein Albtraum für arabische Staaten und eine Gefährdung der internationalen Sicherheit. Vor allem würden aber Nuklearwaffen in den Händen des Mullah-Regimes, das auch die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah unterstützt, eine unmittelbare existentielle Bedrohung Israels darstellen.

Es geht nicht, wie manchmal behauptet wird, um eine Herstellung des Gleichgewichtes, zumal Israel seit mehreren Jahrzehnten als "heimliche Atommacht" gilt, sondern um die existentielle Not des kleinen und von allen Seiten bedrohten Judenstaates. Selbst israelkritische Medien, wie etwa der einflussreiche Londoner "Economist" betrachten die Sorge der Israelis als berechtigt. Israel hat bereits zwei Mal mit Präventivschlägen gegen den Irak 1981 und Syrien 2007 auf die Gefahr einer direkten nuklearen Bedrohung geantwortet. Besteht nun die Gefahr, dass die Regierung in Tel Aviv unter ungleich schwierigeren internationalen politischen Bedingungen zu einer höchst riskanten Verzweiflungstat eines Militärschlages gegen die iranischen Atomanlagen schreiten könnte?

Alle Politiker in Europa und in den Vereinigten Staaten, und auch viele prominente israelische Persönlichkeiten (wie etwa der frühere Mossad-Chef Meir Dagan) warnen vor den verheerenden Folgen eines Krieges. Es gibt nur (oder noch) die freilich auch wirtschaftlich risikoreiche Alternative der jetzt vom französischen Außenminister Juppé geforderten "beispiellosen Sanktionen" gegen Iran. Wenn dieser Weg wegen russischer und chinesischer Obstruktion scheitert, dann sollten die Vereinigten Staaten, wie zur Zeit des Kalten Krieges in Europa, nicht nur Israel, sondern allen von einem nuklear bewaffneten Iran gefährdeten Nahoststaaten Beistand durch nukleare Abschreckung anbieten. (DER STANDARD-Printausgabe, 15.11.2011)