Bild nicht mehr verfügbar.

Polizeibeamte stehen in Kassel vor einem Internetcafe, in dem der angeschossene 21-jaehrige Halit Y. Anfang April 2006 gefunden wurde (Foto vom 06.04.06). Bei einem der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zugerechneten Morde soll ein damaliger Beamter des hessischen Verfassungsschutzes stärker involviert gewesen als bislang bekannt.

Foto: Harry Soremski/dapd

Berlin - Die deutsche Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" hat sich bei ihrer beispiellosen Mordserie möglicherweise auf weit mehr Helfer stützen können als bisher bekannt. Wegen möglicher Verstrickungen von V-Leuten des Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene wird der Ruf nach grundlegenden Geheimdienst-Reformen lauter. Zugleich steigt die Wahrscheinlichkeit eines neuen Anlaufs für ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD).

Das mutmaßliche Mitglied der Zwickauer Terrorzelle Beate Zschäpe will nach Informationen der "Stuttgarter Nachrichten" (Mittwoch) eine umfassende Aussage machen. "Sie will auspacken und berät sich deshalb mit ihrem Anwalt", zitierte das Blatt einen Beamten aus Ermittlerkreisen. Nach einem ARD-Bericht hatte das Trio, das für zehn Morde verantwortlich sein soll, einen Unterstützer in Sachsen. Der in Johanngeorgenstadt lebende Neonazi Matthias D. habe die Wohnung in Zwickau angemietet, in der Zschäpe von 2001 bis 2008 unter falschem Namen lebte. Zudem sei der 34-Jährige Mieter der Wohnung gewesen, in der Zschäpe mit ihren Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zuletzt Unterschlupf fanden, berichtete das Magazin "Fakt" am Dienstag.

Hinweise auf Helfer

Matthias D. sagte dem Online-Magazin stern.de: "Ich habe damit nichts zu tun." Er bezeichnete die Vorwürfe gegen ihn als Missverständnis. Der damalige Hausverwalter ist sich "zu 100 Prozent sicher", dass er stets mit Böhnhardt zu tun hatte, der sich als Matthias D. ausgegeben habe. Er habe sich im September 2007 gemeldet und wollte die Wohnung mieten. Einen Ausweis habe er nicht verlangt.

"Es gibt Hinweise auf weitere Helfer", sagte der Vorsitzende des parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, nach einer Sitzung des Gremiums. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl (CSU) sagte: "Weitere Mitwisser gibt es auf jeden Fall." Es bestehe die Gefahr, dass Mittäter noch unentdeckt seien. Mehrere Politiker warfen den Verfassungsschutzbehörden Versagen vor. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte in Leipzig, wenn ein V-Leute-Einsatz kaum Erfolg habe und ein NPD-Verbotsverfahren daran scheitern könne, müsse dieses Instrument auf den Prüfstand.

Verwirrung gab es um einen hessischen Verfassungsschützer, der 2006 am Tatort eines Mordes in Kassel war. Nach unbestätigten Medienberichten soll er noch während des Mordes 2006 in dem Café anwesend gewesen sein. Nach einem Bewegungsprofil könnte er sogar bei sechs der neun Morde aus der Serie in der Nähe des Tatortes gewesen sein. Entsprechende Hinweise wurden im Kontrollgremium des Bundestags aber nicht bestätigt. Oppermann teilte mit: "Dieser Mann hat eine offenkundig stark rechte Gesinnung."

In Thüringen soll der ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof Gerhard Schäfer herausfinden, was schiefgegangen ist bei der Jagd nach dem Neonazi-Trio. Innenminister Jörg Geibert (CDU) stellte den 74-Jährigen als Vorsitzenden einer Untersuchungskommission vor. Die drei Rechtsextremen aus Jena konnten 1998 trotz Haftbefehls und der Beobachtung durch den Landesverfassungsschutz untertauchen. Das Untersuchungsgremium soll in den nächsten drei Monaten die Umstände prüfen.

Immer mehr Fürsprecher findet ein NPD-Verbot. Für die Prüfung eines neuen Verfahrens sprach sich einstimmig der CDU-Parteitag aus. Die Delegierten folgten damit ihrer Parteichefin Kanzlerin Angela Merkel. In der ARD sagte Merkel: "Wir müssen uns sehr sicher sein, dass das vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Dazu müssten wir auf die sogenannten V-Leute (...) verzichten." Dies müsse abgewogen werden. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte im ZDF: "Das ist mit einem hohen Risiko verbunden, weil wir dann über viele Jahre keinen Einblick in den inneren Betrieb der Partei haben." SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel sagte "Spiegel Online": "Das Verbot der NPD muss kommen - völlig unabhängig von der Mordserie." Das Bundesverfassungsgericht hatte ein erstes Verbotsverfahren 2003 gestoppt.

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags, der Innenausschuss und wohl auch der Rechtsausschuss wollen sich in den kommenden Tagen weiter mit den Taten und den Hintergründen befassen. Die Mordserie und die Rolle des hessischen Verfassungsschützers wird auch die Kontrollkommission des hessischen Landtags beschäftigen. Der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) forderte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Bundestages. (APA)