Köln - Was wusste der deutsche Verfassungsschutz über die rechtsterroristische Zwickauer Zelle, auf deren Konto zehn Morde und mehrere Sprengstoffanschläge gehen sollen? Auf diese zentrale Frage scheinen nur zwei Antworten möglich: "zu wenig" oder "zu viel" - wobei der Geheimdienst in beiden Fällen in einem schlechten Licht dastünde. Denn sollte der Verfassungsschutz keine Ahnung vom Verbleib der lange untergetauchten Terroristen gehabt haben, dann hat er einen schlechten Job gemacht. Waren die Schlapphüte aber dran an der jahrelang unbehelligt gebliebenen "Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), wäre deren Verbrechensserie erst recht ein Skandal.

Denn das am 17. November 1950 gegründete Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln und die später eingerichteten 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz verstehen sich als Organe einer wehrhaften Demokratie - Verfassungsfeinde sollen nicht im Schutz der freiheitlicher Verfassung auf die Abschaffung des demokratischen Staates hinarbeiten dürfen. Eine Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes als einem der drei deutschen Nachrichtendienste - neben Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischem Abschirmdienst (MAD) - ist daher das Sammeln und Auswerten von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen rechter, linker oder islamistischer Gruppen in Deutschland.

Verbindungsleute

Dabei sammeln die Verfassungsschützer die meisten Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Zeitungen, Flugblättern oder dem Internet. Doch sie setzen auch nachrichtendienstliche Mittel ein: Der Inlandsgeheimdienst wirbt zum Beispiel Verbindungs-Leute in der Extremisten-Szene an - eine Praxis, die im Fall der Zwickauer Zelle Gerüchte über solche V-Leute im direktem Umfeld der NSU entstehen ließ. Bei V-Leuten handelt es sich nicht um Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden, sondern vielmehr um Szeneangehörige. Die manchmal dubiosen Informanten haben es oft auf Geld abgesehen und lassen sich dafür bezahlen, dass sie vor den Geheimdienstlern Interna aus extremistischen Zirkeln ausplaudern.

Der Einsatz von V-Leuten gilt zwar in Geheimdienstkreisen als alternativlos, er birgt aber auch erhebliche Risiken: So scheiterte 2003 das Verbotsverfahren gegen die NPD an der Vielzahl von V-Leuten, die der Verfassungsschutz in der rechtsextremen Partei unterhielt. Mindestens 30 V-Leute saßen zwischen 1997 und 2002 in Vorstandsgremien der NPD - das Bundesverfassungsgericht konnte deshalb nicht entscheiden, ob in dem Verbotsverfahren vorgelegtes Belastungsmaterial auch von NPD-Funktionären stammte, die vom Inlandsgeheimdienst gesteuert wurden.

Außerdem gab es in der Vergangenheit eine Vielzahl von Affären um rechte V-Männer - vor allem in Thüringen, dem Herkunftsland der zuletzt in Zwickau wohnenden drei Rechtsterroristen. Das Trio gehörte früher dem neonazistischen "Thüringer Heimatschutz" an. Der Chef dieser rechtsextremen Gruppierung, Tino Brandt, wurde 2001 als V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes enttarnt. Und später brüstete sich der Ex-NPD-Landesvize Brandt sogar, mit den Spitzelgehältern auch den "Thüringer Heimatschutz" aufgebaut zu haben.

Solche Affären scheinen geeignet, Zweifel an der Rolle des Verfassungsschutzes in einer wehrhaften Demokratie zu schüren. In jedem Fall aber werfen sie die Frage nach dem Umgang des Verfassungsschutzes mit führenden Rechtsextremen auf. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Thomas Oppermann (SPD), nannte es am Dienstag in Berlin jedenfalls "unbegreiflich", dass hochkarätige rechtsextreme Funktionäre wie Brandt Geld vom Landesverfassungsschutz erhalten hätten. (APA)