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Foto: AP/Maire

Wien - Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) will offenbar den Bau umstrittener Milliardenbahnprojekte wie Semmering und Brenner erleichtern. Dafür wird das Eisenbahngesetz novelliert - und die Möglichkeit eröffnet, Höchstgerichtsurteile zu unterlaufen.

Die vorige Woche durch den Ministerrat geschleuste Novelle des Eisenbahngesetzes sieht nämlich vor, dass Tunnelprojekte während des Instanzenzugs ein Jahr lang weiter gebaut werden dürfen. Dies selbst dann, wenn der eisenbahnrechtliche Baugenehmigungsbescheid von Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurde, der Ersatzbescheid noch nicht vorliegt, aber für die (um-) gebaute Eisenbahnanlage bereits die Betriebsbewilligung vorliegt.

Demnach muss das Verkehrsministerium einen Baustopp nur dann verfügen, wenn VwGH oder VfGH "einer Beschwerde, die zur Aufhebung des Baugenehmigungsbescheides geführt hat, die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat".

Wiewohl im Ministerrat durchgewunken wollen der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts und das Umweltministerium Bures' Gesetzänderung nicht akzeptieren. Beide äußern schwerwiegende Bedenken, die sich insbesondere an Paragraf 31h entzünden: "Die vorgesehene Hinauszögerung eines Baustopps nach einem höchstgerichtlichen Spruch sollte überdacht werden", drängt das Umweltministerium, denn "diese Regelung könnte geeignet sein, das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Wirksamkeit der Rechtsschutzinstrumente insgesamt zu schwächen." Der Grund: Das Weiterbauen könnte im Einzelfall dazu führen, dass die Interessen jener Partei, die im Verfahren vor VwGH oder VfGH Recht bekam, "nicht zum Durchbruch kommen könnten". Das Umweltressort lehnt dies "aus rechtsstaatlichen Gründen ab".

Auch der Verfassungsdienst empfiehlt eine Überarbeitung des Gesetzes, das Nachnutzung und Umbau aufgelassener Bahnlinien erleichtern soll. Er urgiert vor allem eine "sachliche Rechtfertigung" für die geplante "Ausnahme von der grundsätzlichen Regelung ..., wonach für den Bau ... von Eisenbahnanlagen ... eine eisenbahnrechtliche Baugenehmigung erforderlich ist".

Das Verkehrsressort verteidigt die Frist, sie legalisiere nicht Schwarzbau, sondern sei notwendig, um im Fall eines Baustopps Baustellen sichern zu können.

"Um der Betonlobby die Schienen frei zu machen, sollen nun also die Grundrechte unter die Räder kommen", echauffiert sich auch die grüne Verkehrssprecherin Gabriela Moser unter Hinweis auf die "rechtlichen Brösel" bei Semmering- und Brennertunnel. Bei ersterem steht neben Großverfahren in Niederösterreich und der Steiermark auch der Naturschutzbescheid aus St. Pölten aus, er wird im Dezember erwartet. Zur Erinnerung: Vor knapp zehn Jahren war es Niederösterreichs Wasserrecht, das den Semmeringtunnel zu Fall brachte. Nun könnte mit dem Eisenbahngesetz vorgesorgt werden, es soll am 30. November den Verkehrsausschuss im Nationalrat passieren.

Als zu großzügig bekrittelt das Umweltministerium von Nikolaus Berlakovich (ÖVP) die Implementierung der so genannten Seveso-Richtlinie der EU. Bahnbetreiber könnten Giftmüll und gefährliche Güter "unbotmäßig lange oder wechselnd und ... ständig auf Kesselwaggons zwischenlagern". Mit Blick auf die Brandkatastrophe von Viareggio (2009 starben bei der Explosion eines Flüssiggaswaggons am Bahnhof Viareggio 32 Menschen) sollten Lagertanks neben Gleisanschlüssen erfasst und gefährliche Stoffe "möglichst kurz" gelagert werden. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 16.11.2011)