Abenteuerliche Begegnungen in "Peter Pan": Das Burgtheaterensemble (u. a. Mavie Hörbiger als Fee Tinkerbell, re.) spielt gemeinsam mit Teilnehmer/ -innen des Theaterjahres.

Foto: Anna Stöcher

Wien - Um die ganzen Ooohs und Aaahs, Ohwehs und Ohjehs zu bewirken, muss alles Zauberwerk, das kleine wie das große, das dramatische wie das komödiantische, knallhart und wochenlang geprobt werden - bei einem Kindertheater-Klassiker wie James Matthew Barries Peter Pan nicht weniger als bei Hamlet oder Faust.

Und da ist auch schon Burg-Pressechefin Konstanze Schäfer, sanguinischen Temperaments und mit einer äbtissinnenhaften Weisheitsmilde wird sie beim Besuch des Probenbeobachters Regie führen. Erster Auftritt: Claudia Vallant. Sie macht Produktionsbetreuung, soll heißen, sie ist die Schnittstelle zwischen Regie, Bühne, Technik und Werkstätten.

Großes Theater ist Big Business. Und Magie, auch die feenzarteste, basiert immer auf grundsolidem Handwerk. Tatsächlich hat Vallant eigentlich keine Zeit, weil im Stiegenhaus mit den Kostümleuten, der Pyrotechnik und der Beleuchtung geklärt werden muss, wie Tigerlillys Handschuh so präpariert werden kann, dass er auch nach Raufhändeln noch Feuer spuckt. Als Vallant erwähnt, dass sie am Vortag erst um ein Uhr nachts aus der Burg rausgekommen ist, fragt man natürlich gleich, ob denn die Zeit jetzt, also ein paar Tage vor der Premiere, die anstrengendste, hektischste ist. Eigentlich nicht, meint Vallant, trotz aller Müdigkeit noch von einer spürbaren Grundfreude für ihre Profession getragen. Es sei eigentlich immer viel zu tun.

Ab geht's in die knackevolle Kantine, zu Kaffee und Konversation. Zur Unterhaltung gesellt sich spontan und ungeplant Bernhard Kleber, Bühnenbildner der Produktion, dazu. Der kettenrauchende und auch sonst richtig brennende Kleber zeigt dem Journalisten erst Grenzen auf ("Was für eine Reporterfrage!"), um anschließend kluge, quintessenzielle Dinge über Pan, Barrie, Käpt'n Hook und sich selbst aus dem Ärmel zu schütteln. Darf man das zitieren, Herr Kleber? "Nein!" Es gibt sie noch, die großen Theaterexistenzen. Abgang Kleber.

Frau Schäfer wird wieder aktiv, ab geht's auf die Bühne. Alles sehr dunkel und pssst, leise bitte, Probe läuft! Auf Zehenspitzen am Rundhorizont, der die Drehbühne hinten umschließt, vorbei zur höhlenartigen, vom fahlen Licht dreier Monitore beschienenen Inspizientinnennische. Ein geheimnisvoller Mann wird im Flüsterton als "der Schnürbodenmeister" vorgestellt: Peter Pans Fluggehilfe also. Und da kommt auch schon der Hauptdarsteller, mit einer Wolke im Arm. "Wollen Sie sich jetzt die Probe von vorne ansehen?", flüstert Frau Schäfer. Aber gern.

In der Rangloge bemerkt man, dass in einer Probe, auch eine Woche vor der Premiere, noch so richtig geprobt und also ziemlich oft unterbrochen wird. Regisseurin Annette Raffalt, des Burgtheaterdirektors Schwester und offenbar auch eine im Gemüte von Frau Schäfer, könnte jederzeit als Allegorie der Ruhe und Entspanntheit besetzt werden. Sanfte Frauen birgt die Burg. Überraschung: Inszenierungsdetails, wie zum Beispiel der Abgang Käpt'n Hooks, werden in einer Art basisdemokratischem Prozess zwischen den Schauspielern und der Regie besprochen.

Nach der Probe darf man auch kurz mit Raffalt, Markus Meyer (Peter Pan) und Dietmar König (Käpt'n Hook) sprechen. Barrie hat ja mit dem großen Eskapisten Peter Pan eine Figur geschaffen, die als prominentestes Berufskind der Literatur als Vorläufer heutiger Berufsjugendlicher gesehen werden kann. Peter Pan ist aber auch der Ahnvater der nonkonformistischen Heldinnen und Helden der Kinderliteratur: zwar unglaublich "frisch, schnell, frech und witzig", wie Meyer ihn charakterisiert, aber eben auch "arrogant, narzisstisch und gefühlskalt".

Krokodil mit tickender Uhr

Dietmar König - seine Augenringe beängstigen fast mehr als sein Käpt'n-Hook-Haken auf der Bühne - weist darauf hin, dass das Krokodil mit der tickenden Uhr ein Bild für die Endlichkeit des Lebens sei.

Eine Endlichkeit, die nur die Lebensängstlichen ängstige, wie Annette Raffalt meint: "Es ist klar, dass man mit Mut und Fantasie andere Abenteuer erlebt als jemand, dem immer die Uhr tickt und der so eng wird aus Angst vor dem Altern." Conclusio: "Wenn du glaubst, dass du jung bist, dann bist du es auch." Perfektes Schlusswort. Danke. Vorhang. (Stefan Ender, DER STANDARD/Printausgabe 17. November 2011)