Heribert Schiedel studiert die europäische extreme Rechte. Wegen massiven Gewaltandrohungen will er unerkannt bleiben

Foto: derStandard.at/saj

Schiedels neues Buch "Extreme Rechte in Europa" ist in der Edition Steinbauer erschienen

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Wenn der Verfassungsschutz in Österreich "keine Bedrohung" durch Rechtsextreme sieht, dann "ignoriert er die eigenen polizeilichen Erkenntnisse", sagt DÖW-Experte Heribert Schiedel: Die Zahl der Delikte sei gestiegen. Was die FPÖ damit zu tun hat, erklärt er im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Mit der Mordserie in Deutschland sei eine Schwelle vom Rechtsextremismus zum "Rechtsterrorismus" überschritten worden, meinte der deutsche Verfassungsschutz. Stimmen Sie zu?

Heribert Schiedel: Nein, überhaupt nicht. Der Rechtsextremismus ist in sich immer gewalttätig. Und wenn er eine bestimmte Stufe erreicht, dann schlägt er in Terror um, und das hat er immer gemacht – auch in Österreich. Wir hatten in den Achtzigern eine Bombenserie, in den Neunzigern eine Terrorserie, und wir haben auch heute immer wieder Anschläge auf Asylunterkünfte.

derStandard.at: Ist der Rechtsextremismus in Österreich wirklich "keine Bedrohung", wie der österreichische Verfassungsschutz sagt?

Schiedel: Der Verfassungsschutz ignoriert die eigenen polizeilichen Erkenntnisse. Wenn man die Verfassungsschutzberichte liest und sich die Zahlen anschaut, dann sieht man, dass es mehr Delikte gibt, auch mehr Gewaltdelikte – und wie kann ich denn die Bedrohung anders messen als mit Deliktzahlen? Aber in der politischen Interpretation, die dann in den Medien zitiert wird, heißt es immer: "keine Bedrohung".

derStandard.at: Wie kommt der Verfassungsschutz zu dieser Interpretation?

Schiedel: Es wird immer so erklärt, dass für das demokratische Gemeinwesen an sich keine Bedrohung besteht, weil die Neonazis nicht stark genug sind. Das Gemeinwesen an sich ist vielleicht nicht bedroht, aber bestimmte Gruppen schon. Migranten sind massiv bedroht durch Neonazis. AntifaschistInnen sind bedroht, Illegalisierte sind bedroht, etcetera.

derStandard.at: Schützt der Verfassungsschutz nur manche?

Schiedel: Schauen wir uns die letzten zehn Jahre an: Das Innenministerium hat bis 2001 den Jahreslagebericht zum Rechtsextremismus herausgegeben, eine sehr gute Beschreibung der Neonazi-Szenerie. Aber was war 2001? Da war die FPÖ schon in der Regierung, und Andreas Mölzer schrieb damals in seiner Zeitschrift: „Jetzt stehen die Sterne günstig" – die sogenannte Bespitzelung der Neonazis müsse jetzt aufhören. Seit damals erscheint kein Lagebericht mehr. Und plötzlich waren auch die Burschenschaften nicht mehr im Verfassungsschutzbericht, und bis heute ist das so geblieben. Ich kann das nur als Zugeständnis an die FPÖ interpretieren.

derStandard.at: Wie wichtig ist die FPÖ für Neonazis?

Schiedel: Sie ist ein wichtiger Rückzugsort für sie. Je weiter rechts die FPÖ gerade ist, desto mehr werden die Neonazis angezogen. Wenn der Behördendruck gleichzeitig steigt, dann gehen sie massiv hinein in die Partei – im Jahr 2005 beispielsweise war beides der Fall.

derStandard.at: Manche glauben, die Stärke der FPÖ helfe, um die Neonazi-Zellen im Zaum zu halten. Sie auch?

Schiedel: Eines meiner Lieblingszitate stammt vom FP-Abgeordneten Holger Bauer aus dem Jahr 1999: „In Österreich werden keine Asylwerberheime abgefackelt (...), weil sich die FPÖ des Problems im rechtstaatlichen und politischen Rahmen annimmt." Natürlich gibt es in Österreich auch Anschläge auf Asylheime – aber grundsätzlich hat Bauer nicht Unrecht. Verglichen mit Deutschland, Frankreich, Skandinavien schaut es in Österreich noch relativ gut aus. Die FPÖ will dafür natürlich Dankbarkeit ernten: "Schauts her, weil wir Erfolg haben, wird das neonazistische Potential am Boden gehalten."

derStandard.at: Heißt das, die FPÖ macht Österreich sicherer?

Schiedel: Nein. Es gibt eine neonazistische Szene, das Potenzial für Gewalt ist auf jeden Fall da. Wenn etwas passiert, wird aber meistens angenommen, dass es nur Einzeltaten sind. Nach dem Motto: Schlagen Neonazis zu, war es ein Einzeltäter. Zünden Linke einen Mistkübel an, dann ist das eine kriminelle Vereinigung.

derStandard.at: Warum ist das so?

Schiedel: Schwer zu sagen. Wenn ich Staatsbüttel bin und die Dinge oberflächlich betrachte, dann sehe ich auf der einen Seite Linke, die den Staat abschaffen wollen, oder zumindest meine Befugnisse einschränken wollen. Und auf der anderen Seite sehe ich Rechte, die der Polizei mehr Befugnisse geben wollen, die kriminelle Ausländer rausschmeißen wollen. Ich will niemandem etwas unterstellen, und ich weiß, dass es im Innenministerium ein Bewusstsein gibt, dass man da extrem aufpassen muss: Aber ein Apparat, der für Recht und Ordnung zuständig ist, ist immer anfällig für Law and Order-Ideologien. Diese Blindheit am rechten Auge würde ich im Innenministerium weniger den Beamten vorwerfen als dem Ministerium, der politischen Verantwortung selbst. Da wird meiner Meinung nach viel verharmlost.

derStandard.at: In Deutschland wurden die ermittelnden Behörden wegen der Pannen bei der Zwickau-Mordserie scharf kritisiert. Wäre ein solches Debakel in Österreich auch denkbar?

Schiedel: In solchen Apparaten passieren immer Fehler, das ist ein strukturelles Problem. Aber in Deutschland hat der Verfassungsschutz mehr Befugnisse, was V-Leute betrifft. In Österreich ist das anders, darum ist die Wahrscheinlichkeit, aufgrund einer Komplizenschaft solche argen Fehler zu machen, geringer. Wobei es natürlich auch bei uns Komplizenschaften gibt. In Österreich läuft es aber quasi familiär ab. Erinnern wir uns: Der entscheidende Schlag gegen die Alpe Donau Info-Homepage war erst möglich, als bekannt wurde, dass ein Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz der Vater eines mutmaßlichen Neonazi ist.

derStandard.at: Verläuft die Trennlinie zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus quer durch die FPÖ?

Schiedel: Ich würde von zwei Lagern sprechen: Einerseits das Generalsekretariat – Strache und seine Umgebung, und andererseits der völkische Kern, vertreten durch die schillernden Namen Martin Graf und Barbara Rosenkranz. Das ist noch kein Fraktionskampf – solange die FPÖ so erfolgreich ist, werden Graf und Rosenkranz sich nicht trauen, öffentlich aufzumucken. Aber warten wirs ab: Sobald Strache seine erste Wahl verliert, wird sich das ändern.

derStandard.at: Inwiefern dienen Diskurse wie die Sarrazin-Debatte den Neonazis als Steigbügel?

Schiedel: Ich zitiere aus neonazistischen Schriften – da heißt es wortwörtlich: „Die Sarrazin-Debatte hat das Reden so viel freier gemacht." Aus neonazistischer Perspektive heißt es: „Eigentlich finden wir den Islam ja ganz cool, weil wir die Juden hassen. Aber wir sehen, wie weit man mit Antiislamismus kommt – sogar bis in den Feuilleton." Der Antiislamismus ist für die Neonazis ein Türöffner in Richtung Mainstream. Darum ist es für sie so wichtig, das Thema immer am Köcheln zu halten: Es gibt zwar keinen islamistischen Anschlag, eine deutliche Mehrheit der europäischen Muslime distanziert sich von Gewalt – also konstruiert man eine „schlummernde" Aggressivität.

derStandard.at: Nützt die Finanzkrise den Rechtsextremen?

Schiedel: Unbedingt. Diese apokalyptischen Visionen der Neonazis, der Mythos, dass die islamistische Gefahr uns überrollt, können ja nur auf fruchtbaren Boden fallen, wenn es berechtigte Abstiegsängste gibt. Das sind reale ökonomische Ängste. Und die Angstmache der Politik setzt sich da drauf. (Maria Sterkl, derStandard.at, 17.11.2011)