Wien - Am Freitag fällt im KEK-Laboratorium in Japan der Startschuss für den Bau eines neuen Super-Teilchenbeschleunigers. Der SuperKEKB-Beschleuniger und das "Belle II"-Experiment in der seit 1998 bestehenden Anlage in Tsukuba sollen Wissenschaftern bei der Suche nach möglichen Erweiterungen des sogenannten Standardmodells helfen, mit dem die Physik derzeit den Aufbau der Materie erklärt. An Entwicklung und Bau des Detektors "Belle II" sind Physiker des Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) federführend beteiligt. Voraussichtlich 2014 wird es erste Teilchenkollisionen in dem Beschleuniger geben.
Am drei Kilometer langen Ringbeschleuniger des KEK konnten die Physiker erstmals nachweisen, dass es zwischen Materie und Antimaterie winzige, aber doch messbare Unterschiede gibt, die von der Theorie der japanischen Physiker Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa beschrieben werden. Im Detail wurde gezeigt, dass sich die Zerfallsraten von sogenannten B-Mesonen und ihren Anti-Teilchen geringfügig unterscheiden. Dieser Unterschied wird im Fachjargon CP-Verletzung genannt, für seine Erklärung haben Kobayashi und Maskawa 2008 den Physik-Nobelpreis erhalten.
Ohne einen solchen Unterschied gäbe es ein beträchtliches Problem. Nach der heute weitgehend anerkannten Theorie entstand nämlich beim Urknall genauso viel Materie und Antimaterie. Wären die beiden Komponenten bis ins letzte Detail genau gleich, hätten sie einander sofort wieder vernichtet; in dem Fall würde die Welt gar nicht existieren.
50 mal höhere Kollisionsraten
Auf diesen Erfolg aufbauend wollen die Japaner die Maschine aufrüsten. "Ziel sind rund 50 mal höhere Kollisionsraten und damit wesentlich mehr Datenmengen von diesen Materie- und Antimaterieteilchen, um eine wesentlich höhere Messgenauigkeit zu erzielen", wie Hephy-Direktor Christian Fabjan erklärte. Denn neue physikalische Phänomene jenseits des Standardmodells können auch durch Präzisionsmessungen bei niederen Energien entdeckt werden, was einen "komplementären Zugang" zu den Bemühungen am "Large Hadron Collider" (LHC) am Europäischen Forschungslabor für Teilchenphysik CERN darstelle.
Die höheren Kollisionsraten könnten durch ein "sehr raffiniertes neues Beschleunigerkonzept" erreicht werden, das es erlaube, wesentlich mehr Elektronen und Positronen in den Speicherring einzuschießen und zu speichern. Parallel dazu muss auch der bereits bestehende Detektor "Belle" entsprechend ausgebaut werden. Daran sind die Wiener Physiker federführend beteiligt, konkret am zentralen Spurendetektor, in dem "mit extrem hoher Präzision der Impuls der geladenen Teilchen gemessen wird". Vor allem Teilchen mit extrem geringen Impuls sollen gemessen werden. Dies ist laut Fabjan besonders schwierig, weil solche Partikel stark von Materie beeinflusst werden. Mit Hilfe neuer Technologien ist dem "Hephy" "ein Weltrekord eines Detektors dieser Art mit der geringsten Masse gelungen", so Fabjan.
Hoffnung auf Erweiterungen des Standardmodells
Die Physiker hoffen jedenfalls, ab 2014 über den augenblicklichen Erkenntnisstand in der Teilchenphysik hinausgehen zu können. Vorstellbar seien alle möglichen Erweiterungen des Standardmodells, die man durch besonders genaue Messung bestimmter Zerfälle von B-Mesonen nachweisen könnte, so Fabjan.
Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Supersymmetrie. Laut dieser sollte es zu jedem derzeit bekannten Teilchen ein supersymmetrisches Partnerteilchen geben. Ein Nachweis solcher Partikel ist bisher allerdings noch nicht gelungen. Wenn es solche Teilchen gibt, könnte man sie aufgrund der deutlich geringeren Kollisionsenergien am KEK nicht produzieren, das wäre nur am LHC möglich. "Aber am KEK wären sie indirekt messbar, weil sie die Zerfallswahrscheinlichkeiten der B-Teilchen beeinflussen", so Fabjan.
Teilchenphysik steht auch im Mittelpunkt des "Vienna Central European Seminar", das vom 25. bis 27. November an der Universität Wien stattfindet. Inhaltliche Schwerpunkte dieser Plattform für Nachwuchswissenschafter sind u.a. aktuelle Resultate von Detektoren des LHC. (red/APA)