Austrias Museums- Kurator Gerhard Kaltenbeck weist Hugo Meisl den Weg in dessen eigenes Wohnzimmer, das nun oben am Laaer Berg eingerichtet wurde.

R. Hendrich

Das Klavier spielte Gattin Maria (links), den Fußball Hugo Meisl und seine begabten Buben im Wunderteam.

R. Hendrich

Doppeltes Erbe: Pokal mit Schussloch.

R. Hendrich

Wien - Gerhard Kaltenbeck freut sich. Oder mehr noch: Er ist stolz. Stolz auf sich, die Seinen, die Umstände, die Austria und vor allem wohl darauf, dass alle zusammen die Stadt Wien, in der die Austria halt spielt - oben auf dem Lakopetz - vor einer echten Blamage bewahren durften.

Denn die Stadt Wien hat sich durch die Expertenstimme ihres Museums dazu entschieden, den Nachlass eines gewissen Meisl - Hugo mit Vornamen - für so unerheblich zu halten, dass die von der Hugo-Tochter, der Dr. Martha Meisl aus Gesundheitsgründen verlassene Wohnung im Karl-Marx-Hof bedenkenlos in den Vergabe- und also Verwertungskreislauf von "Wiener Wohnen" zurückfallen konnte.

Irgendwo hat da irgendwer irgendwas irgendwie nicht ganz geschnallt. Denn nicht nur war Hugo Meisl die wohl bedeutendste Figur, die der heimische Fußball je hervorgebracht hat und hervorbringen wird. Die von der Familie von 1930 an bewohnte Wohnung im Karl-Marx-Hof war bis zur Kündigung 2009 weitgehend original erhalten. Mehr noch: In dieser Wohnung manifestierte sich nicht allein die möblierte Vision des in aller Welt bis heute gerühmten Roten Wien. Sondern auch dessen endgültiges Scheitern. Ab dem morgigen Freitag können alle - auch die Experten vom Wien Museum - zum Beispiel einen kleinen, unscheinbaren Pokal besichtigen, in dem ein kleines Loch klafft. "Maria Meisl", erzählt Gerhard Kaltenbeck, "hat während des Angriffs des Bundesheeres" - ein Berufsheer - "auf den Karl-Marx-Hof im Februar 1934 diesen kleinen Kasten vor das Fenster geschoben. Und dort genau ist eben auch die Kugel hineingegangen."

Kasten, durchschossener Pokal und so manch anders Schmankerl aus Österreichs ballesterisch bedeutendster Zeit sind nun im Museum der Wiener Austria, unter der Osttribüne der Generali-Arena, hinter dem Fanshop zu besichtigen.

Im Wohnzimmer

Und darauf ist Gerhard Kaltenbeck - im Zivilberuf ein Banker wie Hugo Meisl auch - mit einigem Recht stolz. Denn über Hugo Meisl zu lesen oder erzählt zu bekommen ist das eine, in seinem Wohnzimmer zu sitzen - Kaltenbeck: "Nur dieser Kasten da ist orginal links gestanden." - etwas ganz anderes.

Hugo Meisl - im Angesicht von Experten des sogenannten Wien Museums scheint es angebracht, Eulen bis mitten nach Athen hineinzutragen - war der unbestrittene Chef des sogenannten Wunderteams. Oder nein, sagt nicht nur Gerhard Kaltenbeck, das war er nur auch.

Er war - und wenn man jetzt ein Wort suchen müsste, das seinen Stellenwert im europäischen Fußball beschreiben könnte, im Grunde alles: Spieler bei den Cricketern und Mitbegründer des österreichischen Fußballverbandes, Schiedsrichter, Schiedsrichterreferent und Regelbuchautor, Mitinitiator der Gründung des Austria-Vorgängers Amateure und Animator der Umbenennung in Austria; denn immerhin war er der Erfinder des kontinentalen Profi-Fußballs; wenig später erfand er in Gestalt des Mitropa- den Europacup und gleichzeitig die Europameisterschaft. Und nicht zuletzt, bis zum Schluss, Sportjournalist wie sein Bruder Willi.

Retrospektiv ließe sich Hugo Meisl beschreiben als einer, der mit ganz Fußballeuropa - von Italiens Vittorio Pozzo bis zu Arsenals Herbert Chapman per Du war, während jeder Nachgeborene bis heute per Sie ist mit ihm.

"Herr Hugo" mehr als ein Fußballfunktionär

Aber dieser Hugo Meisl - zu dem sie damals schon lieber "Herr Hugo" gesagt haben, während er, dieser Herr Hugo, einen vor seinen Augen herumdribbelnden Kicker als "Sie Verbrecher" mit dem Gehstock verfolgte - dieser Hugo Meisl ist bis heute mehr als ein Fußballfunktionär. Er ist, und nichts anderes soll sein Wohnzimmer wohl ausdrücken, ein ferner Gruß.

Geboren 1881 in Maleschau/Malesov steht er für ein Mitteleuropa vorm Nationalitätenirrsinn. Und für ihn und die mit ihm Verbündeten in den anderen Ländern war der Fußballsport etwas geradezu Gegenteiliges. Bis weit in die 1970er-Jahre hießen hierzulande - sei es aus Gewohnheit oder aus Respekt vor Meisl - nicht "National"-Spieler, sondern "Internationale".

Hugo Meisl war also ein Böhme. Oder, um es korrekt auszudrücken, ein behmischer Jud'. Halb Wien und ganz Favoriten war damals behmisch. Nicht umsonst wurde da, neben der Sokol, auch ein Kultur- und Sportverein gegründet, der sich České Srdce nannte, Tschechisches Herz. Der hatte seinen Platz oben auf dem Laaer Berg, dem Lakopec oder Lakopetz. Die Slovan spielte dort einst. Und heute die Austria. Hugo Meisl ist also, in gewissem Sinn, doch nach Hause gekommen.(DER STANDARD Printausgabe, 18. November 2011)