"Transparente Spielregeln bei Berufungen": Vizerektorin Karin Gutiérrez-Lobos.

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Standard: In der Pflege sind überdurchschnittlich viele weibliche Arbeitskräfte beschäftigt, in der Diagnostik ist das Verhältnis umgekehrt. Ist dieses Berufsfeld für Frauen weniger attraktiv?

Karin Gutiérrez-Lobos: Da muss man genau unterscheiden. Laut Ärztekammer üben tatsächlich mehr Männer als Frauen den Beruf aus. Bei den AbsolventInnenzahlen sieht das Verhältnis anders aus. Seit Mitte der 90er-Jahre sind ca. 60 Prozent der AbsolventInnen Frauen. Wir haben hier eine Leaky Pipeline, und die Gründe dafür, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, sind vielfach in den Organisationsstrukturen der Krankenhäuser und Universitäten zu finden. Frauen haben lieber flachere Hierarchien, auch um selbstbestimmter hinsichtlich Arbeitszeit und Kinderbetreuung agieren zu können, Krankenhäuser und Universitäten sind aber beinahe militärisch organisiert.

Zu einem ähnlichen Ergebnis ist auch eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der Ärztekammer gekommen. In Deutschland, wo schon jetzt ein Ärztemangel droht, wurde in dieser Hinsicht schon viel getan und unter anderem auch die Arbeitszeiten angepasst. Auch in Österreich wird es zu Veränderungen und organisatorischen Maßnahmen kommen. An der Med-Uni Wien, die ja auch für das ärztliche Personal im Wiener AKH zuständig ist, wird gerade ein Betriebskindergarten errichtet, der in einem Jahr seinen Betrieb aufnehmen wird.

Standard: Apropos AKH: Die Finanzmittel der Uni sind knapp. Ärztliches Personal soll abgebaut, Operationskapazitäten reduziert und Nachtdienste eingeschränkt werden. Gibt es da noch Spielraum für organisatorische Veränderungen?

Gutiérrez-Lobos: Durch Krisen kann etwas in Bewegung kommen. Und es würde mich freuen, wenn wir aus Schwierigkeiten zu einer gemeinsamen Leistungsplanung und -vereinbarung kommen würden. Denn wir brauchen Ärzte, die zufrieden sind und gern ihren Beruf ausüben.

Standard: Die Zahl der Ärztinnen hat zwar in den letzten Jahren zugenommen. Durch den Einstiegstest für Mediziner wird sich dieses Verhältnis aber wieder verschlechtern ...

Gutiérrez-Lobos: Beim Einstiegstest wird daran gearbeitet, um zu einer Chancengleichheit zu kommen. Denn Frauen werden im Laufe des Studiums immer besser. Der stereotype Schrecken, der den Frauen bestimmte Eigenschaften zuschreibt, nimmt ab. Aber anfangs trauen sie sich weniger zu. Denn beim zweiten Versuch des Einstiegstests schneiden Frauen schon besser ab.

Standard: Bei Forschung und Lehrer zeigt sich an allen Universitäten ein ähnliches Bild. Je höher die Hierarchie, desto weniger Frauen. Welche Maßnahmen hat die Med-Uni getroffen?

Gutiérrez-Lobos: Die 40-prozentige Frauenquote an den Unis ist ein wichtiges Vehikel, aber nicht alles. Deshalb haben wir auch bei unserem Symposium "Hat wissenschaftliche Leistung ein Geschlecht?" eine Männerquote gefordert. Denn auch Forscherinnen wollen nicht die Quotenfrauen sein. Und nicht die Frauen müssen sich anpassen, ein Umdenken der Universitäten ist notwendig.

Um den Frauenanteil zu erhöhen und Frauen zu ermutigen, ist auch das Sichtbarmachen von Karrierewegen wichtig. So wurden im Rahmen unseres Mentoringprogramms "Frauen netz.werk Medizin" letzte Woche die neuberufenen Professorinnen mit ihren unterschiedlichen Werdegängen vorgestellt. Ein weiterer Punkt sind Berufungsverfahren. Dafür braucht es transparente Spielregeln, wo sich unter anderem die Kriterien an den Lebensentwürfen orientieren und nicht nur an der Arbeitsleistung. Daher werden an der Med-Uni Wien die Hearings auch von einem externen Mediator begleitet. Dadurch konnte der Frauenanteil bei Berufungen auf 40 Prozent erhöht werden. In der Forschung gilt: Wenn es Frauen nicht so schnell gelingt, in der universitären Forschung Fuß zu fassen, dann werden sie es woanders versuchen. Auch hier ist die Universität auf organisatorischer Ebene gefordert.

(Die Fragen stellte Gudrun Ostermann, DER STANDARD Printausgabe 19./20.11.2011)