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"Ich wüsste nicht, warum das Twittern etwas kosten sollte."
Steffen Seibert ist Pressesprecher der deutschen Bundesregierung. Mit dem Twitter-Namen @RegSprecher berichtet er über das soziale Netzwerk über die Neuigkeiten der Bundesregierung. Aktuell hat er 42.000 Follower und schlägt mit dieser Anzahl auch Österreichs Top-Twitterer Armin Wolf, der auf 31.000 kommt. Im Gespräch mit Saskia Jungnikl erläutert Seibert seine Social Media-Strategie.
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STANDARD: Wieso twittern Sie?
Seibert: Meine Aufgabe als Regierungssprecher ist es, die Bevölkerung über die Arbeit der Regierung zu informieren. Ich interpretiere das so, dass wir das auf allen verfügbaren Kommunikationswegen tun. Und die haben sich verändert - heute ist Twitter einer davon.
STANDARD: Wie zeitaufwendig gestaltet sich das?
Seibert: Nicht sehr zeitaufwendig. Meine Einstellung dazu hat sich deshalb auch verändert. Am Anfang dachte ich, einmal am Tag sollte ich twittern, das wäre machbar. Dann habe ich festgestellt, dass es ein sehr geringer Zeitaufwand ist und es doch mehr Themen gibt, über die ich twittern könnte. Also habe ich das gesteigert. Inzwischen stehe ich bei mehr als 1000 Tweets, das heißt, ich twittere im Durchschnitt etwa dreimal pro Tag. Was sich auch geändert hat, ist mein Twitter-Verhalten. Anfangs habe ich die Dialogfunktion dieses Mediums wenig berücksichtigt. Ich dachte, das machen Leute, die mehr Zeit dafür haben. Inzwischen habe ich festgestellt, das es erstens erwartet wird und zweitens interessant und spannend ist.
STANDARD: Es macht das Medium zum Teil auch aus, gerade wenn es um die politische Kommunikation geht: Sich den anderen Usern zu stellen.
Seibert: Naja, es gibt die unterschiedlichsten Formen zu twittern: Manche benutzen es nur, um etwas loszuwerden, manche twittern jede Kleinigkeit, die sie am Tag erleben, manche lesen nur die Tweets von anderen. Ich mag den Dogmatismus "So und nicht anders hat man zu twittern" nicht. Ich lege mich da nicht fest. Wenn ich Zeit habe, gehe ich gern auf Fragen ein.
STANDARD: Es ist ein Unterschied, ob ein Normalbürger twittert oder ein Politiker. Was ist wichtig, wenn ein Politiker twittert?
Seibert: Man sollte es nicht nur machen, weil man zähneknirschend glaubt, das müsse heutzutage nun einmal sein. Natürlich kann eine Regierung auch ohne Twitter-Account regieren und kommunizieren, aber wenn man sich mit Freude darauf einlässt, eröffnet sich eben ein zusätzlicher Kanal. Ich habe inzwischen Freude daran - und bekomme ein interessantes Echo auf meine Tweets. Und ich weiß mittlerweile, wem ich antworten kann und will und mit wem ich überhaupt keine Art von Kommunikation eingehen will - manche Leute laden ja auch einfach ihren verbalen Unrat ab. Und manches hochkomplexe Thema entzieht sich einfach der 140-Zeichen-Begrenzung.
STANDARD: Hatten Sie Social Media-Experten an Ihrer Seite, die Sie da ein wenig ausgebildet haben?
Seibert: (lacht) Nein. Ich habe nach einer Woche erst erfahren, was ein Hashtag ist. Eine Woche später hat mir jemand erklärt, dass man, wenn man will, dass eine Antwort an alle geht, ein Zeichen davor setzen muss und so weiter. Es war wie das Lernen einer neuen Sprache. Ich kann bis heute keine Links verkürzen, da muss mir immer jemand zur Hand gehen.
STANDARD: Gibt es Politiker, die als Ihre Social Media-Vorbilder herhalten könnten?
Seibert: Es gibt natürlich welche, die das sehr überzeugend machen, in Amerika etwa das Außenministerium und das Weiße Haus. Aber die haben mit ihrer englischen Sprache natürlich auch einen weltweiten Resonanzboden, den wir in deutscher Sprache nicht haben.
STANDARD: Wie viel rückständiger sind europäische Politiker beim Nutzen von Social Media im Vergleich zu jenen in den USA?
Seibert: Europa ist in der Hinsicht sicher nicht rückständig. Aber vielleicht kann man sagen, dass der Journalismus in den USA anders auf diese neuen Kommunikationsformen reagiert als hierzulande. Als ich begonnen habe zu twittern, gab es bei manchen Journalisten hochgezogene Augenbrauen. Das hat sich aber auch in Deutschland längst erledigt.
STANDARD: Als Sie begonnen haben zu twittern, gab es eine Diskussion mit den "Hauptstadtjournalisten", die dem nichts abgewinnen konnten. Hat sich das geändert?
Seibert: Ja, Journalisten selbst nutzen doch die neuen Medien auf jede mögliche Art und Weise, da hat man sich an mein Twittern schnell gewöhnt. Mittlerweile lese ich auch immer häufiger in Agenturmeldungen den Satz, "wie der Regierungssprecher auf Twitter sagte".
STANDARD: Registrieren Sie die Social Media-Versuche der österreichischen Politiker?
Seibert: Zu meiner Schande, nein. Zu Beginn meines Twitter-Auftritts wurde kritisiert, dass ich nur 18 Accounts folge - aber mir reicht das. Erstens ist Twitter nicht meine einzige Informationsquelle, glücklicherweise, und zweitens will ich nicht meine gesamte Zeit mit dem Lesen meiner Timeline verbringen. Also folge ich dem Weißen Haus, der Downing Street, dem Elysee Palast, der EU-Kommission, dem Vatikan, und so weiter. Der österreichischen Regierung folge ich noch nicht. Aber ich werde mir mal ansehen, was es da so gibt. Twittern die denn schon?
STANDARD: Kanzler Werner Faymann wollte am 26. Oktober zu twittern beginnen, hat sich das anders überlegt und nun twittert für ihn ein neun Personen Team.
Seibert: Beeindruckend. Wir haben keine ganze Abteilung dafür, sondern ich mache das alleine, bei Sachfragen unterstützt nur von einigen Mitarbeitern. Ich finde, das Twitter eine persönliche Handschrift braucht.
STANDARD: Die Kampagne von Faymann kostet rund 200.000 Euro. Darf man wissen, was die von Angela Merkel kostet?
Seibert: Ich wüsste nicht, warum das Twittern etwas kosten sollte.
STANDARD: Der Account an sich kostet nichts. Außer man stellt jemanden ein, der das extra macht.
Seibert: Wir haben dafür keine extra Stellen geschaffen. Ansonsten ist die Bundesregierung seit einigen Wochen auf YouTube vertreten, damit bündeln wir die Youtube-Auftritte unserer verschiedenen Ministerien. Die Kanzlerin hat jetzt ihr erstes Youtube-Interview gegeben.
STANDARD: Was ist die Idee des Interviews mit der Kanzlerin?
Seibert: Wir haben drei Wochen lang Fragen von Usern gesammelt. Da kamen etwa 1800 Fragen zusammen, die wir von den Usern selbst haben bewerten lassen, so dass sich da ein - neudeutsch: Ranking ergab. Die zehn bestbewerteten Fragen hat die Kanzlerin beantwortet. Da sind naturgemäß auch welche darunter, die im täglichen politischen Geschäft nicht vorkommen. Zum Beispiel die Frage, wie die Kanzlerin es mit der Legalisierung von Cannabis hält. Sicher eine Frage, die wir selbst nicht ausgewählt hätten, aber im Web 2.0 ist es wichtig, nicht alles selbst bestimmen zu wollen, also haben wir die User auswählen lassen. Einen gewissen Kontrollverlust muss und kann man ertragen, da empfiehlt sich Gelassenheit. Aber wir haben glücklicherweise eine sehr souveräne Kanzlerin.
STANDARD: Ist Social Media mittlerweile ein Muss für Politiker?
Seibert: Ich betrachte es so, ja. Die klassischen Formen der Kommunikation darf man auf keinen Fall vernachlässigen, TV, Zeitung, Radio. Aber wir müssen nun mal zur Kenntnis nehmen, dass junge Leute - und nicht nur die - einen erheblichen Teil ihrer Zeit vor YouTube und nicht vor den Fernsehnachrichten verbringen. Twitter ist kein Massenmedium in dem Sinne, aber es kann für politische Kommunikation genutzt werden. Ich wüsste aus politischer Sicht keine Begründung, warum man es nicht nutzen sollte.
STANDARD: Was hat denn der Bürger von dem Social Media-Auftritt eines Politikers?
Seibert: Der Bürger, der YouTube oder Twitter nutzt, hat etwas davon - einen zusätzlichen Informationskanal, und sogar in gewisser Weise die Möglichkeit eines Dialogs mit der Regierung.
STANDARD: Klar, aber was wäre der Mehrwert?
Seibert: Ich sorge dafür, dass alle wichtigen Informationen der Bundesregierung und erst recht exklusive Meldungen auf allen Kommunikationskanälen gespielt werden. Man soll nicht twittern müssen, um zu erfahren, was sich Neues getan hat. Aber wenn die Kanzlerin etwa auf Reisen ist, bekommt man, wenn man twittert, natürlich mehr Hinweise und Hintergründe als lediglich in den Abendnachrichten. Medien wählen aus, was sie wichtig finden. Diese Auswahl kehrt notwendigerweise schon aus Zeit- und Platzgründen einiges unter den Tisch. Ich als Regierungssprecher habe über Twitter die Möglichkeit, den einen oder anderen Aspekt, der uns wichtig ist, mitzuteilen. Ich kann einem Thema wenigstens eine Teilöffentlichkeit verschaffen.
STANDARD: Welche Informationen würden Sie nie über Twitter veröffentlichen?
Seibert: Ich würde es nicht verwenden, um eine Meldung exklusiv an die Welt zu geben. Und auf der anderen Seite bin ich nicht der Typ, der auf Twitter seine persönlichen Belange auspackt.
STANDARD: Was waren Ihre herausragendsten Erlebnisse, seit Sie twittern?
Seibert: Ich habe meine Erfahrungen gemacht und mein Lehrgeld bezahlt. Ich habe festgestellt, wie schnell man sich vertippen kann und etwas in der Welt hat, das man sehr gerne wieder aus der Welt schaffen würde. Ich glaube, dass es eine Farbe ist, die der Kommunikation der Bundesregierung hinzugefügt wird - und die heutzutage auch gesucht wird. Die Tatsache, dass ich gut 42.000 Follower habe, bestätigt das. Wenn ich überlege, wie oft meine Tweets von anderen Usern dann noch weiter verbreitet werde, erreiche ich doch einen großen Kreis von Menschen.
STANDARD: Sie haben einmal statt Obama Osama getwittert und damit für ganz schönes Aufsehen gesorgt.
Seibert: Ja, das war sehr unschön - seitdem lese ich jeden Tweet dreimal durch, mindestens. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, Printausgabe, Langfassung)