Bild nicht mehr verfügbar.

Keine Freude mit dem "Konsolidierungswettbewerb" hat der Ökonom Peter Bofinger: "Am Ende stehen alle mit höheren Defiziten da."

Foto: AP/Sarbach

Standard: Österreich führt eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild ein. Eine gute Nachricht?

Bofinger: Nein, weil Schuldenbremsen nach dem Modell der schwäbischen Hausfrau gestrickt sind: Ich muss mit dem Geld auskommen, das ich habe. Ein kluger Unternehmer nimmt hingegen Kredite auf, wenn er in ein sinnvolles Projekt investieren kann. Das sollten auch Staaten tun. Die Schuldenbremse verletzt die goldene Regel der Finanzpolitik, dass der Staat Zukunftsinvestitionen mit Krediten finanzieren soll.

Standard: Wohin sollte das Geld fließen?

Bofinger: In die Bildung, in die Energiewende, in Umwelttechnologien - das sind riesige Aufgaben. Gerade die Krise hat gezeigt, dass die Finanzmärkte unfähig sind, Investitionen in diese Bereiche zu lenken. Umso widersinniger ist die Reaktion der Politik: Weil die Finanzmärkte versagt haben, darf der Staat nun auch nicht mehr als Investor auftreten. Die Schuldenbremse schränkt die staatlichen Möglichkeiten ein und ist eine Gefahr für unsere Zukunft.

Standard: Die österreichische Regierung behauptet das Gegenteil: Wir müssten die Schulden abbauen, weil uns die nervösen Märkte sonst mit hohen Zinsen strafen.

Bofinger: Es ist absurd, dass sich die Politik immer mehr von den Finanzmärkten treiben lässt. Vor drei Jahren haben Europas Staaten die Finanzmärkte, die Milliarden verbrannt haben, mit Steuergeld gerettet, nun lassen sie sich von den gleichen Akteuren vorführen. Das ist ja keine echte Demokratie mehr, wenn sich Nationen vorschreiben lassen, welche Budgetpolitik sie zu machen haben.

Standard: Die verschuldeten Staaten sind aber von am Finanzmarkt geliehenem Geld abhängig.

Bofinger: Die Antwort wäre eine gemeinschaftliche Haftung für die Staatsschulen, indem Eurobonds - gemeinsame Anleihen - ausgegeben werden. Unsere Schwäche besteht darin, dass sich 17 Länder einzeln auf den Kapitalmärkten präsentieren, anstatt als Euro-raum aufzutreten. Das ist teuer: Die USA, Großbritannien und Japan bekommen Geld nachgeschmissen, obwohl etwa die Amerikaner eine riesige Neuverschuldung aufweisen. Die einzelnen Euroländer hingegen müssen vor den Finanzmärkten den Kotau machen.

Standard: Österreich will in den kommenden Jahren das Defizit um jeweils rund zwei Milliarden abbauen. Ist das angesichts des Wirtschaftsabschwungs bewältigbar?

Bofinger: Ein kleines, offenes Land wie Österreich könnte das ohne schlimme Folgen schaffen. Das fundamentale Problem ist aber, dass alle EU-Staaten das Gleiche vorhaben. Dieser Konsolidierungswettbewerb wird das Wachstum so abschwächen, dass am Ende alle mit höheren Defiziten dastehen. Aber kaum ein europäischer Politiker hat das Gesamtbild vor Augen hat und sagt: Lass uns das nicht zu abrupt machen, gebt Ländern wie Griechenland mehr Zeit! Die meisten Politiker sind augenscheinlich unfähig, volkswirtschaftliche Zusammenhänge zu sehen. Jede Regierung spielt ihr eigenes Spiel. Das ist hochgefährlich.

Standard: Reicht der konjunkturelle Spielraum, den Schuldenbremsen vorsehen, nicht aus?

Bofinger: Bei kurzfristigen Konjunkturschwankungen kann man mit dem Puffer der Schuldenbremse schon leben. Das Problem entsteht dann, wenn die Wirtschaftsentwicklung nicht in gleichmäßigen Zyklen abläuft. Defizite lassen sich dann nicht mehr so schnell abbauen, wie die Schuldenbremse vorsieht.

Standard: Sparen sei klüger, als Steuern zu erhöhen, heißt es oft. Sehen Sie das auch so?

Bofinger: Ich halte das für ein sehr fragwürdiges Prinzip, weil nicht nur die Zukunftsinvestitionen leiden, sondern auch die soziale Gerechtigkeit. In Deutschland etwa gab es in den 70er- und 80er-Jahre deutliche höhere Steuersätze - wirtschaftlich geschadet hat es nicht. Während der Finanzkrise haben Menschen mit hohem Einkommen und Vermögen vom staatlichen Schutz mehr profitiert als die kleinen Leute. Die logische Antwort wären europaweit höhere Spitzensteuersätze, etwa auf einem Niveau von 50, 55 Prozent - wenn das EU-weit erfolgt, gäbe es überhaupt kein Problem. Auch Vermögenssteuern sind eine Variante. Falsch wären höhere Mehrwertsteuern oder Kürzungen der Sozialleistungen. Die Staaten stecken nicht wegen ausgeweiteter Sozialausgaben in Finanzierungsproblemen, sondern weil die Finanzkrise viel Geld gekostet hat. (Gerald John, DER STANDARD,  Print-Ausgabe, 19.11.2011)