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Musik und Licht befinden sich bei Konzerten von Jean Michel Jarre in einem stimmungsvollen Dialog.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Zu den eindringlichsten Kompositionen der Musikgeschichte zählen jene, die man als zehnjähriger Laie auf einem Tasteninstrument auf Anhieb nachspielen kann. Die Eltern erkennen das Lied - trotz falscher Töne - und freuen sich über die künstlerische Hochbegabung. Der Weg des Dieter Bohlen wird kein leichter sein.

Aber Kunst hat immer auch etwas Tragisches an sich. Titanen des Pop wie Richard Clayderman mit Ballade Pour Adeline, die leider etwas in Vergessenheit geratenen Einmannbands Hot Butter mit Popcorn und The RAH Band mit The Crunch oder auch Jean Michel Jarre mit Oxygène stehen hier für jene melodische Nachhaltigkeit, bei deren bloßer Erwähnung das innere Ohr für Tage von Würmern befallen wird.

Summen und Rauschen

Dup-di-dup-di-dup. Oxygen, Sauerstoff, Elementsymbol O, Ordnungszahl 8, der wahre Stoff: Während um das Jahr 1976 die deutschen Elektronikingenieure Kraftwerk gerade von der Autobahn zum Schienenverkehr im Trans Europa Express und von Verbrennungsmotoren zum Strom aus dem Atomkraftwerk wechselten, gelangte der französische Klangmagier Jean Michel Jarre zur Einsicht, dass komplizierte Technik zwar gut, die Anbetung der Mensch-Maschine aber nur den Blick auf das Wesentliche verstellt: das Summen und Rauschen und Brummen des Universums - und dort drin den Triumph der menschlichen Individualität.

Jarre ist in seinem Klanglabor seit dieser Zeit dem Ur-Swing auf der Spur. Es geht um die Syntax, den Bauplan, die Wos-woar-mei-Leistung der Gesamtheit aller Dinge. Noch vor dem Fressen und der Moral kommt an dieser Stelle die Luft zum Atmen ins Spiel. Leben, wie wir es kennen, braucht Atmosphäre. Zusammen ergibt das himmlische Musik, wie sie eines Luke Skywalkers und anderer Weltenwanderer würdig ist: Dup-di-dup-di-dup. Jean Michel Jarre präsentierte zuletzt 1997 in Wien im Rahmen von Wetten, dass..? vor dem Rathaus seine Forschungsergebnisse. Dieses Mal gab es der Mann, der mit diversen Besucherrekorden bei seinen Konzerten von einer Million Erdenbürger inklusive des Papstes aufwärts auch im Guinnessbuch der Rekorde zu finden ist, etwas billiger.

Mit der "Laser-Harfe"

Vor 5000 augenscheinlich schon seit Jahrzehnten gut in Publikationen wie Oxygène, Equinoxe oder Magnetic Fields eingearbeiteten männlichen Bewunderern präsentierte der elektronische Hexenmeister einen Überblick über sein Schaffen. Mit Ausnahme einer von Jarre beschwörend mit Handgesten gespielten futuristischen "Laser-Harfe", die bei gesellschaftlichen Anlässen auf dem Todesstern sicher für Aufsehen sorgen würde, waren auf der Bühne nur gute alte analoge Synthesizer aufgebaut.

Drei Helfer standen Jarre zur Seite. Oft wurde auch ein für mehr Nachdruck sorgendes Schlagwerk eingesetzt. Am frontal zum Publikum stehenden Hauptsynthesizer waren kleine Crashbecken angebracht, auf die der Meister fröhlich tanzend mit den Händen schlug. Sie sorgten für einen flott im Discobeat durch den Hyperraum fetzenden Sound: Dup-di-dup-di-dup. Zisch.

Man hatte es schon geahnt, als Jarre zu Beginn jovial durch das Publikum in den Saal marschierte und Hände schüttelte: Dies würde ein Abend unter Gleichgesinnten werden. Sogar mitgeklatscht durfte werden. Auf diese Einladung wird man bei Kraftwerk lange warten. Filmzuspielungen kündeten zwischendurch allerdings vom großen, alles gleichmachenden Bruder.

Gelassen bleiben

Dunkle Synthie-Wolken zogen auf. Angst machte sich breit. Jarre brach dessen Bedrohung durch einen spontanen Ausdruck seiner Individualität. Er spielte auf einer Empore ein langes, mutiges Solo auf einem Umhängekeyboard. Es klang wie Paganini, wenn er mit einer Gabel in den Toaster gefahren wäre.

Ruhig bleiben. Einatmen. Ausatmen. Oxygène. Wir werden es überleben. Dup-di-dup-di-dup. Zisch.  (Christian Schachinger  / DER STANDARD, Printausgabe, 19./20.11.2011)