Die Genesis der "supra-konstitutionellen Prinzipien" - Klauseln, die über der zu schreibenden neuen Verfassung stehen sollten - beginnt mit der Angst. Und sie spiegelt gut wider, in welcher Situation zwischen Pest und Cholera sich die säkulare demokratische Revolutionsbewegung Ägyptens befindet.

Der Wunsch nach so etwas wie einer "Ewigkeitsklausel" entstand aus der Furcht der liberalen Kräfte, dass die Islamisten die Parlamentswahlen gewinnen und mit einem von ihnen dominierten Parlament eine Verfassung schreiben würden, die einem "zivilen" Staat - das Wort säkular ist ohnehin verpönt - völlig widerspricht. Also wollte man sich bereits vor den Wahlen auf gewisse Prinzipien einigen, wie der künftige ägyptische Staat aussehen sollte - auf keinen Fall islamischer als der alte. Denn in der alten Verfassung ist ohnehin schon eine gute Portion Islam drinnen, unter anderem, dass die Scharia die Quelle der Rechtsprechung ist.

Junta oder Militärrat

Die Regierung, namentlich Vizepremier Ali al-Selmy, erstellte im Auftrag des regierenden höchsten Militärrats (Scaf) also ein solches Dokument. Es weist in der Tat den möglichen islamistischen Einfluss auf die Verfassung in die Schranken, der erste Entwurf räumte aber gleichzeitig den Militärs einen Rang im Staat ein, der wohl endgültig die Umbenennung der Revolution in "Militärputsch" sinnvoll machen würde. In ägyptischen Medien taucht folgerichtig immer öfter die Formulierung "die Junta, als Scaf bekannt" auf.

Der Scaf beansprucht im ersten Entwurf des "Selmy-Dokumets" eine Sonderrolle außerhalb der Institutionen, unter anderem eine Budgethoheit ohne zivile Kontrolle und sogar ein Veto über Gesetzesvorlagen. Gegen das Ansinnen der Militärs, die Zusammensetzung der Verfassungskommission zu bestimmen, wehren sich vor allem die Islamisten, die befürchten, dass ihnen ihr vorauszusehender Wahlsieg in der realen Politik wieder gestohlen wird. Die meisten Islamisten lehnen deshalb so ein Dokument prinzipiell ab, man bräuchte es schlicht nicht. Ihre Sprachregelung ist, dass es zumindest einem Referendum unterworfen werden sollte.

Am Samstag gab die Regierung einen neuen Entwurf des "Selmy-Dokuments" heraus, in dem zumindest einige Paragrafen abgemildert sind. Zur Supervision der Armee würde demnach ein "Nationaler Verteidigungsrat" geschaffen, dem der Staatspräsident vorstehen würde. Es gibt säkulare und liberale politische Kreise, die sich offenbar mit den Änderungen begnügen würden. Die Frage, was passiert, wenn ein Kandidat des Militärs zum Präsidenten gewählt wird, liegt jedoch auf der Hand.

Eine Schelte von US-Seite hat sich die ägyptische Armee auch schon eingehandelt, US-Außenministerin Hilary Clinton reitet nun gerne auf dem Begriff "ungewählte Behörden" herum, wenn sie von Ägyptens regierendem Militärrat spricht. (guha/DER STANDARD, Printausgabe, 21.11.2011)