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Demonstranten fordern am Wochenende ein Verbot der NPD. Die Behörden gehen mittlerweile davon aus, dass die mutmaßlichen Terroristen Uwe B., Uwe M. und Beate Z. bis zu 20 Helfer hatten.

Foto: APA/EPA/Leonhardt

Deutschland will die Angehörigen der Neonazi-Opfer entschädigen.

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Berlin/Wien - Einst schrie Ulrike K. (Name geändert) gerne "Sieg Heil" und schrieb Artikel über die Volksgesundheit. 2011 half sie dann mit, die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" zu verbieten. Der Verein hatte laut deutschem Innenministerium zur "Radikalisierung der Neonazi-Szene" beigetragen.

K. ist eine Aussteigerin aus der Neonazi-Szene. Leute wie sie sind enorm wichtig im Kampf gegen die extreme Rechte: Sie gehen an Schulen und erzählen Jugendlichen von ihren Erlebnissen, sie versorgen Geheimdienste mit Informationen, beraten Politiker bei Gesetzen und helfen Wissenschaftern, Radikalisierung besser zu verstehen - zumindest in Deutschland. In Österreich kümmert sich bisher keiner um sie.

Bundesweit gibt es keine einzige Stelle, die potenziellen Aussteigern aus der rechtsextremen Szene hilft. Nur an der Universität Innsbruck betreut der Politologe Reinhold Gärtner Menschen, die wegen einschlägiger Delikte verurteilt wurden. Immer wieder schaffen einige so den Ausstieg.

"Wir hatten immer wieder Anfragen von einzelnen Personen aus Österreich, die so etwas aufbauen wollten", sagt Bernd Wagner, Leiter des Vereins Exit, der größten deutschen Aussteigerberatung. "Aber offenbar haben die keine Unterstützer gefunden."

Wagner und sein Team helfen jedes Jahr etwa 50 Menschen, die Szene zu verlassen. Nach erfolgreichem Ausstieg vermittelt er sie als Gesprächspartner oder für Schulungen, etwa für Sozialarbeiter. "Die sind sehr oft nicht für den Umgang mit Neonazis ausgebildet", sagt Wagner.

"Sieg Heil" -Gruß für Merkel

Als etwa die heutige Kanzlerin Angela Merkel, damals Jugendministerin, in den 1990er-Jahren ein betreutes Projekt für Neonazis in Sachsen-Anhalt besuchte, wurde sie dort mit "Sieg Heil" -Rufen begrüßt - unter den Augen der Sozialarbeiter. Nach dem Auftritt wurde Wagner um Hilfe gebeten.

Derzeit arbeitet er daran, ein europaweites Netzwerk solcher Stellen zu etablieren. Exit arbeitet bereits mit Kollegen in Schweden und Norwegen zusammen, mit den zuständigen Stellen in Tschechien und Kanada gab es bereits Gespräche. "Die Neonazi-Szene agiert auch international" , sagt Wagner, "da dürfen die Behörden nicht in Kleinstaaterei versinken."

Uwe Sailer, Polizist und Kenner der rechten Szene in Österreich, hält eine Aussteigerberatung für eine überfällige Einrichtung. In Oberösterreich, wo die rechtsextreme Szene besonders aktiv sei, scheitere das auch an Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP): "Er behauptet stets, dass es hier keine solche Szene gebe."

Auch Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger sieht Bedarf: "Wir brauchen dringend eine Beratungsstelle, wo auch Eltern, Freunde oder Lehrer von rechtsextremen Jugendlichen Hilfe finden", sagt er. Eine solche Stelle könne beim Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands angesiedelt werden, dessen Mitarbeiter bereits Beratungserfahrung hätten.

Die deutschen Behörden gehen mittlerweile laut Spiegel davon aus, dass die mutmaßlichen rechtsextremen Terroristen Uwe B., Uwe M. und Beate Z. bis zu 20 Unterstützer hatten. Der Staatsschutz soll mindestens drei V-Leute in ihrem Umfeld gehabt haben, trotzdem konnten sie nicht aufgespürt werden. Die drei sollen mindestens zehn Menschen ermordet haben. Die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) versprach Entschädigungen für Angehörige der Opfer. Innenminister Hans Peter Friedrich (CSU) sprach von einem "kläglichen Versagen" der Behörden. Er fordert mehr Ermittlungskompetenzen für den Bund und eine längere Speicherung der Daten des Verfassungsschutzes. (Tobias Müller /DER STANDARD, Printausgabe, 21.11.2011)