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Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU, l.) und Generalbundesanwalt Harald Range (Mitte) unterhalten sich am Montag  im Bundestag in Berlin vor Beginn einer nicht öffentlichen Sitzung des Innenausschusses. Der Innenausschuss der Bundestages befasst sich mit dem Rechtsterrorismus. Dabei soll es allgemein um die Bedrohung durch rechtsextremistischen Terror gehen sowie um den Stand der Ermittlungen gegen die Zwickauer Neonazi-Gruppe.
Foto: Michael Gottschalk/dapd

Berlin - Die deutsche Bundesregierung erwägt eine Entschädigung von rund 10.000 Euro für die einzelnen Familienangehörigen der Neonazi-Mordopfer. In der Vergangenheit hätten sich Härteleistungen für Opfer extremistischer Überfälle und terroristischer Straftaten in dieser Größenordnung bewegt, sagte ein Sprecher von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Montag in Berlin. Das Geld solle aus einem entsprechenden Fonds kommen, der im laufenden Jahr mit einer Million Euro aus Mitteln des Justizministeriums gefüllt sei.

„Zur Zeit wird vom Justizministerium der direkte Kontakt mit den Angehörigen gesucht", erläuterte der Sprecher. „Selbstverständlich ist klar, dass hier eine materielle Leistung auf gar keinen Fall das Leid aufheben kann." Doch solle es um ein Zeichen der Solidarität gehen. Nach einem Bericht der „Leipziger Volkszeitung" (Dienstag) wurde der entsprechende Haushaltstitel für den Etat 2012 um die Hälfte auf 500.000 Euro gekürzt. Gleichzeitig seien 10 Prozent davon für PR-Arbeit genehmigt. Die Linken-Abgeordnete Caren Lay forderte in der Zeitung, den Etat für den Opferausgleich auf Basis realistischer Opferzahlen neu zu berechnen: „Die Kürzung muss vom Tisch."

Beratungen im Innenausschuss

Angesichts immer neuer Enthüllungen über die Neonazi-Mordserie hat der Innenausschuss des deutsche Bundestags am Montag Beratungen aufgenommen. Die Spitzen der Ermittlungsbehörden sowie Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wollten die Parlamentarier über den Stand der Ermittlungen unterrichten. Der Innenausschuss-Vorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) sagte unmittelbar vor der Sitzung: „Wir wollen jetzt wissen: Was ist schiefgelaufen? Vor allem wollen wir die Frage beantwortet haben: Bestand die Möglichkeit, das mörderische Treiben des Trios von Anfang an zu stoppen, also die Terrorzelle zu erkennen?"

Friedrich kündigte an: "Zur Sitzung des Innenausschusses werden wir heute berichten, wie der aktuelle Stand der Ermittlungen ist." Es werde auch darum gehen, inwieweit aus strukturellen Mängeln in den verschiedenen Bereichen und Sicherheitsdiensten Schlussfolgerungen gezogen werden müssten. Dabei gehe es auch um einen Katalog gesetzlicher und anderer Neuregelungen. „Ich werde dazu auch im Laufe der Woche Vorschläge machen", sagte er. „Wir müssen dann ohne Zögern zu einer Änderung oder zu einer Verbesserung der Strukturen kommen, von denen wir heute schon sagen können, da gibt es Defizite und Mängel."
Friedrich bekräftigte, dass ein Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eingerichtet werden solle, in dem Polizei und Verfassungsschutz ihre Erkenntnisse zusammenführen. Er sprach sich erneut für eine Zentraldatei und eine bessere Kooperation der Verfassungsschutzämter aus.

"Saumäßig" Arbeit des Verfassungsschutzes

Ausschussmitglied Ulla Jelpke (Linke) sagte, sie erwarte Klartext von den Verfassungsschutzämtern. Deren Arbeit bewertete sie als "saumäßig". „Wir wissen ja, dass die V-Leute im Grunde genommen staatlich bezahlte Nazis sind." Es sei das Mindeste, die V-Leute abzuschalten. Gisela Piltz von der FDP forderte „eine neue Organisation von Sicherheitsarchitektur". Anzeichen für ein Versagen der Bundesbehörden in der Neonazi-Mordserie sieht Bosbach nicht. Es gebe derzeit keinen Grund zur Annahme, dass es beim Bundeskriminalamt (BKA) oder dem Verfassungsschutz gravierende Fehler oder gar ein Systemversagen gegeben habe, sagte Bosbach in der ARD. Fritz Rudolf Körper (SPD), Mitglied im Geheimdienst-Kontrollgremium, forderte im Deutschlandfunk, dass der Verfassungsschutz auf Länderebene mit dem Verfassungsschutz auf Bundesebene komplett zusammengelegt wird - „dass nicht (...) der Verfassungsschutz X sagt, Y haben wir vergessen zu informieren".

Zur Aufklärung der offenen Fragen erwägen Union und SPD der „Mitteldeutschen Zeitung" zufolge, im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags einen Sonderermittler einzusetzen. Laut „FAZ" will die FDP-Fraktion einen solchen Berichterstatter diese Woche beantragen. Bosbach lehnt einen Sondermittler momentan ab. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth kritisierte, dass die Strafverfolgungsbehörden bei Gewaltverbrechen zu selten nach einer möglichen Neonazi-Gesinnung der Täter fragen. „In der Vergangenheit wurden die möglicherweise rechtsextremen Motivationen von Tätern viel zu oft nicht mitgedacht", sagte Roth der „Welt" (Montag).

Trauerfeier für die Opfer

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sieht in der geplanten Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie ein richtiges Signal. Die Zeremonie könne einige religiöse Elemente enthalten, etwa eine Koran-Rezitation, sagte er den Zeitungen der „WAZ"-Gruppe (Montag).
In Dresden sollte Sachsens Landesverfassungsschutz der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags Rede und Antwort stehen. Deren Vorsitzender Günther Schneider (CDU) hatte die Frage aufgeworfen, warum die Neonazi-Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) jahrelang von Zwickau aus „unbehelligt und scheinbar unbeobachtet" agieren konnte.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel brachte in der ARD erneut einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestags ins Spiel. Der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck (SPD) schlug eine Art Enquete-Kommission mit Vertretern von Bund und Ländern zur Aufklärung des Rechtsterrorismus vor. „Dies könnte ein Ansatzpunkt sein, statt über Kompetenzen zu streiten", sagte er der dpa.

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz befürchtet, dass die Neonazi-Gruppe weitere Straftaten begangen hat. „Da wird noch sehr viel Schmerzliches ans Tageslicht kommen", sagte er der „Passauer Neuen Presse". Verfassungsschützer in Thüringen gehen nach Informationen von „Spiegel" und „Focus" mittlerweile von etwa 20 Unterstützern aus, die dem aus Jena stammenden Trio im Untergrund halfen.  (APA/dpa)