Allmählich wird die Lage wirklich ernst, die Krise beginnt auf die Gehirne ihrer genialsten Analytiker überzugreifen. Weshalb unmittelbare Folgen für deren Analysen nicht ausbleiben können. Das zeigte eindrucksvoll in der "Presse" der Verleger Hans-Jörgen Manstein auf, wo er verkündete: Der Kommentar ist tot. Als vor einigen Jahrzehnten dekretiert wurde, Gott sei tot, hat das unter seinen Geschöpfen keine größere Aufregung hervorgerufen, aber die Toterklärung des Kommentars sollten wir ernst nehmen. Manstein hat auch die Todesursache. Die Schwachsinnigkeiten in Politik und Wirtschaft haben ein Ausmaß erreicht, dass (sic!) eine Kommentierung derselbigen überflüssig macht.

An die Feststellung der Überflüssigkeit einer Kommentierung derselbigen schloss Manstein einen Kommentar über eine Dreiviertelseite, schlauerweise eingeführt als Gastkommentar, woraus "Presse"-Leserinnen und -Leser den hoffnungsvollen Schluss ziehen könnten, dass, wenn schon der Kommentar tot ist, so wenigstens der Gastkommentar erblühe.

Die Ursachen der Misere glaubt Manstein darin zu erkennen, dass die Ereignisse der vergangenen Wochen ... sich jeder Auseinandersetzung durch den herkömmlichen Kommentar entziehen. Was auch der Grund dafür sein dürfte, dass sich die Damen und Herren Kommentatoren um die wesentlichen Dinge gar nicht mehr erst kümmern - und wenn doch, dann meterweit am Ziel vorbei. Wäre es nur das! Das ist die freundliche Sichtweise. Die weniger freundliche - man könnte auch sagen: die realistischere - ist, dass sie den Wahnsinn nicht mehr erkennen können, weil sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

Es ist mir ein Anliegen, die Damen und Herren Kommentatoren der "Presse" vor dieser Attacke eines malkontenten Gastkommentators in Schutz zu nehmen. Sie können sich natürlich nicht um alles kümmern, aber sie bemühen sich, wie ein Blick auf den Leitartikel desselben Tages bewies. Dort griff ein Kollege schonungslos die wesentlichen Dinge auf, als er forderte: Wir müssen die Politik vor den Politikern retten. Und er kümmerte sich nur insofern ein wenig - meterweise wäre übertrieben - am Ziel vorbei, als er leider vergaß mitzuteilen, wen er mit Wir gemeint hat.

Höchst ungerecht, wenn Manstein mit Bezug auf Österreichs Garantieverpflichtungen behauptet: Wer - außer marktschreierischen Zurufern aus dem Populismuseck der Opposition - kommentiert solches seriös und mit allen möglichen Implikationen für Wirtschaft und Gesellschaft? Gerade in diesem Zusammenhang "Presse"-Kommentatoren ihre erkenntnistheoretische Wahnsinnsfähigkeit abzusprechen, ist ungerecht.

Sie haben so gut wie alles kommentiert, was Manstein - wie im Fall von Grassers Liechtenstein-Steuerschoner - unter dem Motto Kommentar überflüssig vermisst. Nur im Fall Spindelegger haben sie vielleicht den Wald vor lauter Bäumen nicht so gut gesehen. Jedenfalls nicht so gut wie Manstein. Das einzige Lebenszeichen gab er im Nahen Osten von sich, wo seine Bedeutung sich auch nicht jedermann sogleich erschließt. Und weil es so schön ist, hat der Herr Vizekanzler auch noch Fotos von sich zur gefälligen Verwendung der Medien anfertigen lassen.

Andere haben dieses vom Gastkommentator festgestellte Versagen der "Presse" wettgemacht und so bewiesen, wie grundfalsch Manstein mit seiner Geringschätzung des Vizekanzlers liegt. Was der in Nahost geleistet hat, wurde Donnerstag unter dem Titel "Heute"-Reporter in der Hölle von Bagdad gewürdigt.

Es riecht nach Schwarzpulver und Benzin, vereinzelt sind Schüsse zu hören. Schon bei der Ankunft in Bagdad wird klar: Das ist die gefährlichste Dienstreise von Außenminister Michael Spindelegger (VP). Beweis: Im gepanzerten Konvoi geht es vom Flughafen zum Hotel Ishtar. Ein mitfahrender, irakischer Sicherheitsbeamter sagt: "Das ist die gefährlichste Straße im Irak."

Entspannung währt nur kurz. Über eine Brücke überqueren wir den Fluss Tigris. Laut Altem Testament bewässert er das "Paradies". Doch auch hier eine Hiobsbotschaft: Seit zwei Jahren plagt den Irak eine Trockenperiode. Endlich kommen wir beim Hotel an. Österreichs Delegation ... hat eine erste Verschnaufpause und erhält eine gute Nachricht: Die vernommenen Schüsse dürften heute niemanden getötet haben. Es waren Freudenschüsse.

Kein Foto von Spindelegger, aber schön zu sehen, wie sich wenigstens "Heute" dessen Bedeutung erschlossen hat. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 22.11.2011)