Wie es jemanden ergehen kann, der gegen rechtsextreme Umtriebe aktiv wird, zeigt sich am Beispiel des Linzer Polizisten Uwe Sailer.

Foto: Philipp Sonderegger

Wann es in der Causa Alpen-Donau zum Prozess kommen wird, kann Thomas Vecsey, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien noch nicht sagen. Klar ist: Es laufen Ermittlungsverfahren wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung und Verhetzung gegen Gottfried Küssel und mindestens eine weitere Person. Es gilt die Unschuldsvermutung. Zwei Jahre lang konnten die Betreiber der Neonazi-Seite, die als zentrale Propagandaplattform der rechtsextremen Szene in Österreich galt, ihr Unwesen treiben. Sie diffamierten ungehindert Juden, Andersdenkende und Schwule, veröffentlichten deren Wohnadressen. Mehr als 240 Anzeigen, die von Verhetzung bis zur gefährlichen Drohung reichten, gingen bei der Justiz ein.

Dass die Alpen-Donau.info erst spät geschlossen wurde, rechtfertigt die Staatsanwaltschaft Wien mit mangelnder Kooperation der US-amerikanischen KollegInnen. Betroffene werten das als Ausflucht. Das Argument der mangelnden Amtshilfe gelte nur für das Delikt der Wiederbetätigung, nicht aber für Verhetzung oder gefährliche Drohung; das Verfahren wurde einfach nicht energisch genug betrieben, glaubt die Israelitische Kultusgemeinde.

Bereits 2009 Hinweise

Eine Sicht, die auch der Insider Uwe Sailer teilt. Der Linzer Polizist und Datenforensiker arbeitete für das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Er habe bereits 2009 entscheidende Hinweise geliefert und darauf aufmerksam gemacht, dass die Betreiber mittels einer Fangschaltung ohne US-Unterstützung ermittelt werden könnten. "Damals konnte ich mich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass Manche im Verfassungsschutz diese Leute gar nicht wirklich dingfest machen wollen", bedauert Sailer die zurückhaltende Reaktion auf seinen Ermittlungsansatz.

Ein Vorwurf, der auch vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in Deutschland rund um die "Nationalsozialistische Untergrundbewegung" ernstzunehmend ist. Während der deutsche Verfassungsschutz nunmehr wegen Verharmlosung des organisierten Rechtsextremismus unter Druck geraten ist, scheint man in Österreich keinen Handlungsbedarf zu sehen. Im Gegenteil: In der jüngsten Novelle versorgt die Politik das BVT mit neuen Befugnissen, die aber weder von Gerichten noch vom Parlament ausreichend kontrolliert werden können. Ist Österreich tatsächlich  gegen das Erstarken demokratiefeindlicher Gruppen – möglicherweise auch innerhalb der Apparate, die unsere Verfassung schützen sollen – gewappnet?

Ermittler im Schussfeld

Wie es jemanden ergehen kann, der gegen rechtsextreme Umtriebe aktiv wird, zeigt sich am Beispiel Uwe Sailers. Er geriet plötzlich selbst ins Visier von mächtigen Gegnern. Die FPÖ nahm einen E-Mail-Verkehr Sailers mit dem Grünen Abgeordneten Karl Öllinger zum Anlass, um ihn wegen Amtsmissbrauch anzuzeigen und ließ den Ermittler vor den parlamentarischen "Spitzel"-Untersuchungsausschuss zitieren.

Sailer, der aufgrund des großen politischen Drucks suspendiert und mittlerweile wieder voll rehabilitiert wurde, fühlte sich von seinen Vorgesetzten im Stich gelassen. Seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz hat er beendet: "Der politische Einfluss der FPÖ auf den Verfassungsschutz ist leider sehr groß geworden. Ich habe den Eindruck, dass dort zum Teil Leute sitzen, die sympathisierende Kontakte zu rechtsextremem Gedankengut haben." Konkretisieren wollte Sailer diesen "Eindruck" aus rechtlichen Gründen nicht. Mit Blick auf Deutschland, aber auch aus demokratiepolitischen Gründen wäre es notwendig, dass Parlament und Medien warnenden Signalen wie diesen nachgehen.

Die Versuche, Sailer mundtot zu machen, waren übrigens nur bedingt erfolgreich. Als Privatperson deckte er im heurigen Jahr mithilfe eines digital signierten E-Mails die Verbindung zwischen dem Nationalratsabgeordneten Werner Königshofer und der Alpen-Donau.info auf. Monate später musste Königshofer Nationalratsmandat zurücklegen, er wurde zur Schadensbegrenzung aus der FPÖ ausgeschlossen.

Kein Einzelfall

Die Kritik am merkwürdig zaghaften Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen die Alpen-Donau.info ist indes kein Einzelfall. In jüngster Vergangenheit wurde bereits mehrfach ein fragwürdiger Umgang im Zusammenhang mit dem Rechtsextremismus moniert.
Im Jahr 2007 führte der Verfassungsschutzbericht 37 rechtsextreme "Schmier- und Klebeaktionen" an. Seltsam, just in diesem Jahr hatten AktivistInnen der Aktion "Rassismus streichen" rund 500 rassistische und verhetzende Wandbeschmierungen mit Foto und Adresse dokumentiert und beim Innenministerium angezeigt. Ein anderes Kapitel des Verfassungsschutzes war hingegen auf wundersame Weise schon zuvor ganz verschwunden: jenes über die Umtriebe deutschnationaler Burschenschafter. Zufall, oder nicht, schlagende Burschenschaften gelten als Bindeglied zwischen der extremen Rechten und der FPÖ. Jeder zweite Mandatar der Wiener Freiheitlichen ist mittlerweile korporiert.

Vorfälle wie diese unterminieren die Glaubwürdigkeit des Verfassungsschutzes zweifellos. Hinzu kommt, dass auch InnenministerInnen in diesem Bereich gerne politisches Kleingeld wechseln. Die Präsentation der Verfassungsschutzberichte gerieten in den vergangenen Jahren regelrecht zur Farce. Während islamistische und linksextreme Gefahren beschworen werden, handelten die Ressortchefs den gravierenden Anstieg rechtsextremer Straftaten in Nebensätzen ab. Dabei spricht die Statistik eine deutliche Sprache. Die Anzahl der rechtsextremen Straftaten hat sich in den letzten fünf Jahren beinahe verdreifacht. (2005: 209 angezeigte Tathandlungen, 2010: 580 Tathandlungen). Linksextremen wurden letztes Jahr 211 Straftaten angelastet, religiösen Extremisten keine. Es bleiben aber auch Zweifel über die Zuverlässigkeit der Statistik. Der Europarat forderte Österreich wiederholt auf, fremdenfeindliche und rassistische Motive von Straftaten genauer zu berücksichtigen. Wird Rechtsextremismus also unterschätzt oder sind die Verfassungsschützer auf einem Auge blind? Im vergangenen September veröffentlichte der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser eine Liste von fünf größtenteils ungeklärten Brandanschlägen auf Unterkünfte von AsylwerberInnen. Ein Mensch starb. Im Verfassungsschutzbericht heißt es lapidar: Der Rechtsextremismus stellte im Jahr 2010 keine ernsthafte Bedrohung der inneren Sicherheit dar.

Der zumindest laxe Umgang mit rechtsextremen Gefahren dürfte nicht zuletzt mit dem Umbau des Innenministeriums durch den ehemaligen Ressortchef Ernst Strasser zu tun haben. Der ÖVP-Mann wandelte unter dem Signum wichtiger Reformen zunächst die Staatspolizei in ein Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung BVT um. Später folgte die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie. Praktisch alle roten Führungskader der Polizei wurden entfernt. Während Innenministerium und BVT schwarz eingefärbt wurden, erhielt das große und wichtige Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) einen blauen Anstrich.
Dieser lässt sich an den Ergebnissen der Personalvertretungswahlen ablesen. Beim letzten Urnengang erreichte die freiheitliche Gewerkschaft AUF im LVT Wien etwas mehr als 40 Prozent der Stimmen und stellt nun die Mehrheit und den Vorsitz. Zum Vergleich: Das sind immerhin doppelt so viele Stimmen, wie die FPÖ bei den Wiener Landtagswahlen erreichte.

Demokratiepolitische Gefahr

Warum es demokratiepolitisch gefährlich ist, dass die Freiheitlichen im Verfassungsschutz an Bedeutung gewinnen, erklärt Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): "Weil die FPÖ ihrerseits Ziel von Unterwanderungsversuchen durch Neonazis geworden ist." Denn die Website Alpen-Donau.info sei von Leuten betrieben worden, die sich als "ein Gruppen und Parteien übergreifendes Projekt zur Stärkung und Koordination des nationalen Widerstandes verstehen."

Dieses Projekt erstreckt sich offensichtlich bis ins Zentrum der FPÖ hinein, wie es Hinweise einer parlamentarischen Anfrage der Grünen nahe legen. Mehrere Dokumente aus dem FPÖ-Umfeld seien von der Alpen-Donau-Website abrufbar gewesen, noch bevor sie sonst irgendwie öffentlich zugänglich waren. Jemand aus der FPÖ müsse die Papiere also den rechten Recken direkt zugespielt haben, so der Verdacht. In der parlamentarischen Anfrage wurden auch Namen genannt: Der eines mittlerweile gekündigten Mitarbeiters des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf, sowie der eines engen Mitarbeiters von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

Anfälligkeit für politische Beeinflussung ist auch deshalb problematisch, weil der Verfassungsschutz nicht irgendeine Einrichtung ist. Die Behörde liefert die Entscheidungsgrundlagen dafür, ob politische Gruppierungen überwacht, strafrechtlich verfolgt oder verboten werden sollen. Auch, ob sie in den Genuss demokratischer Strukturen wie etwa der Parteien- und Presseförderung oder dem passiven Wahlrecht kommen. Dabei ist der Verfassungsschutz an Gesetze gebunden, er verfügt aber über einen erheblichen Spielraum, der nur relativ schwachen Kontrollmechanismen unterliegt.

Wolf Szymanski, der damals federführende Legist im Innenministerium, erläutert im Gespräch mit dem Magazin MO: "Die Staatspolizei – nunmehr der Verfassungsschutz – sollte als Geheimdienst innerhalb des allgemeinen Sicherheitsapparates bestehen. Deshalb wurde für sie auch keine eigene gesetzliche Grundlage geschaffen“. Der Gesetzgeber wollte damit den Einsatz geheimdienstlicher Überwachungsmethoden auf weltanschaulich oder religiös motivierte Gruppierungen beschränken, von denen erhebliche strafrechtliche Bedrohung ausgeht. Szymanski: "Der Verfassungsschutz soll die Verfassungsordnung ausschließlich strafrechtsakzessorisch, also nur vor gerichtlich strafbarem Handeln und vor nichts anderem schützen."

Unter dem Schlagwort der erweiterten Gefahrenforschung darf die Polizei bereits ermitteln, wenn sie die Verwirklichung einer schweren Straftat lediglich für wahrscheinlich hält. Bei solchen Ermittlungen fehlt allerdings die Kontrolle durch die Strafjustiz. Diese kann naturgemäß erst dann aktiv werden, wenn jemand eine Straftat begangen hat. Die Genehmigung geheimdienstlicher Ermittlungen wie Observation oder verdeckter Ermittlung obliegen deshalb dem Rechtsschutzbeauftragten im Innenministerium, dessen Berichte von der Innenministerin dem zuständigen Unterausschuss des parlamentarischen Innenausschusses vorgelegt werden. Die Verfassungsschützer selbst waren mit dem Umfang ihrer Befugnisse unzufrieden und begehrten mehr. Ein Wunsch, den die Politik sukzessive erfüllte - auch in der letzten, aktuellen Novelle. Allerdings ohne die parlamentarische Kontrolle und die Stellung des Rechtsschutzbeauftragten dementsprechend aufzuwerten. Wolf Szymanski bedauert die Ausweitung: „Die jüngst vorgeschlagenen Novellierung verfolgt offenbar das Ziel, Menschen, gegen die kein Verdacht besteht, zu screenen. Rechtsstaatliche Vorbeugung darf aber erst einsetzen, wenn strafbares Handeln des Betroffenen wahrscheinlich ist.“ Wikipedia beschreibt das BVT als "Polizeiorganisation mit geheimdienstlichem Charakter“. In der aktuellen Ausgestaltung kann man das so verstehen: weder die gerichtliche noch die parlamentarische Kontrolle ist ausreichend gegeben.

Wie effektiv eine politische Gruppen vom Verfassungsschutz durch Repression bekämpft werden kann, lässt sich am Wiener Neustädter TierschützerInnen-Prozess ermessen. Den Beschuldigten wurde vorgeworfen, eine kriminelle Organisation zu bilden. Das ermöglichte den monatelangen Einsatz geheimdienstlicher Polizei-Befugnisse ohne den Beschuldigten konkrete Straftaten vorzuwerfen. Nach zwei Jahren kam der Freispruch in erster Instanz - ein schwacher Trost für die AktivistInnen, die Jobs und Hunderttausende Euros an Verteidigungskosten einbüßten.

Ein Blick nach Deutschland

Der Vergleich mit Deutschland zeigt, wie Schranken gegen politischen Missbrauch geheimdienstlicher Befugnisse aufgezogen werden können. Der Bundesverfassungsschutz unserer Nachbarn verfügt über nur sehr eingeschränkte polizeiliche Befugnisse, seine Aufgabe beschränkt sich auf die Analyse von Bedrohungslagen nach wissenschaftlichen Standards. Sollen Verdächtige überwacht oder Häuser durchsucht werden, kommen reguläre Polizeieinheiten zum Zug.

Grundlegende Unterschiede im Selbstverständnis werden auch deutlich, wenn man den verfassungsrechtlichen Auftrag der beiden Einrichtungen vergleicht: Nach dem Zweiten Weltkrieg verpflichtete man sich in Deutschland zur wehrhaften Demokratie. Hitlers zunächst legale Machtergreifung saß den Deutschen noch tief in den Knochen. Dementsprechend nennt das deutsche Grundgesetz den Schutz von Demokratie und Sozialstaat als dezidierte Staatsziele. Der Verfassungsschutz wurde nicht nur mit der Aufgabe betraut, Einrichtungen von Bund und Ländern vor politischer Kriminalität zu schützen, sondern erhielt auch ausdrücklich den Auftrag, "die freiheitlich demokratische Grundordnung" an sich zu verteidigen.

Österreich beauftragt den Verfassungsschutz lediglich mit dem Schutz der "Handlungsfähigkeit staatlicher Organe". Werte, die es zu verteidigen gilt, wurden gemäß dem Charakter einer "Spielregel-Verfassung“ nicht dezidiert festgelegt. Falls demokratiefeindliche Kräfte, die legale Parteien unterwandern, dabei aber nicht gegen Strafrecht verstoßen, durch Wahlen an die Macht kommen, geraten sie also nicht ins Visier des österreichischen Verfassungsschutzes. Dass in Zeiten der Finanzkrise autoritäre Strömungen bis in die Regierung vorstoßen können und sich dort munter an den Umbau des Staates machen, ist kein gänzlich absurdes Szenario mehr, wie sich aktuell an unserem Nachbarland Ungarn zeigt. Die Bindung des polizeilichen Verfassungsschutzes an das Strafrecht hat gute, rechtsstaatliche Gründe - um ein ungarisches Szenario abzuwenden, bräuchte die Republik freilich ein über Polizeiarbeit hinausgehendes Verständnis von Demokratie- und Verfassungsschutz. (Leser-Kommentar, Philipp Sonderegger, derStandard.at, 23.11.2011)