Scan: Bey

Auf Forbes Liste der Allermächtigsten 70 hat er es nur auf einen schlappen 48. Platz gebracht, aber auf dem Cover des Time Magazine (Europa-Ausgabe) ist er diese Woche ganz groß und ganz allein: Super-Erdo. Der Sonderpreis geht dabei an den Fotografen Marco Grob, der Erdogan dazu gebracht, die Arme in der zufriedenen Manager-Manier zu verschränken. Denn Tayyip Erdogan verschränkt seine Arme normalerweise nie, er braucht einen Arm für das Mikrofon und den anderen zum In-der-Luft-Rudern oder Auf-den-Tisch-Hauen.

Das Foto ist in Wahrheit auch schon ein Jährchen alt und diente für die Time Magazine Kür 2010 des Mann des Jahres. Der türkische Regierungschef verlor am Ende gegen Julian Wikileaks Assanges. Macht nix. Dieses Jahr geht es um die Behauptung, Erdogan habe seine Türkei in ein „regional powerhouse“ verwandelt, ein Kraftwerkl, das die ganze osmanische Region erleuchtet, von Tlemcen in Westalgerien bis Butscha in der Ukraine und Muskat im Oman.

Das ist etwas dran. Wie viel, darüber lässt sich streiten. Bobby Ghosh versucht in seiner Time-Titelgeschichte diese Woche Einfluss und Grenzen der Erdoganschen Macht abzuwägen: Konservativer Islamist verteidigt säkulare demokratische Verfassung, bietet die Türkei als Modell für die arabische Welt an, findet aber nicht überall Gehör. Dabei lässt er unter den Tisch fallen, dass Erdogan bei seiner Siegestour durch Kairo, Tunis und Tripolis vergangenen September in erster Linie wegen seiner antiisraelischen Rhetorik gefeiert wurde, und keineswegs, weil man in Istanbul noch ein Glas Bier trinken darf.

Den Einflusses eines Staates, die Dinge in seiner Region oder in der Welt zu bewegen, kann man am Einsatz seiner hard und soft power messen. Die Türkei als Militärmacht – die hard power – ist eine beschränkte Größe: sie kann im Nordirak einmarschieren, um gegen die PKK zu kämpfen; sie hält einen Teil Zyperns besetzt und beteiligt sich in Afghanistan am internationalen Militäreinsatz, was ihren Status als NATO-Mitgliedsland und als Wirtschafts- und Kulturmacht in Zentralasien erhöht. Andererseits hält sie zehn Prozent der Führungsetage ihrer Armee wegen Putschvorwürfen in Untersuchungshaft und hat weder mit der Drohung wahr gemacht, Hilfsschiffe zum Gazastreifen zu eskortieren und die Seeblockade Israels zu durchbrechen, noch die Erdgasbohrungen vor Zypern mit Militärgewalt zu verhindern.

Die soft power der Türkei wiederum reduziert sich im wesentlichen auf soap operas vom Bosporus, die in der arabischen Welt gesehen werden (und auf dem Balkan), Bauaufträge im großen Stil und dem Export von Lebensmitteln und Textilien. Ein Wissenschaftsstandort ist die Türkei nicht, auch wenn sie mittlerweile mehr Studenten aus der arabischen Welt anzieht; unter den Rankings der weltbesten Universitäten kommt die Türkei weit hinten, unter den 400 besten ist sie überhaupt nicht. Die diplomatischen Verhandlungskünste der Türkei – ein Kernstück der soft power – haben während des Arabischen Frühlings ihre Grenzen gezeigt, ohne dass sich jetzt schon ein endgültiges Urteil fällen lässt. Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu haben jedenfalls in Libyen wie in Syrien ihren Einfluss überschätzt. Weder Gaddafi noch Assad waren an den diversen türkischen Plänen zur inneren Befriedung von der Hohen Pforte sonderlich interessiert. Als die Erkenntnis einzusinken begann, waren Regierungschef und Außenminister vor allem eines: verärgert.

Die türkische Außenpolitik im Rausch des Powerhouse-Denkens lässt wahrscheinlich wenig Spielraum für Selbstreflexion und schnelle Kurskorrekturen. Andererseits sollte man sich die denkbar extreme Alternative vor Augen halten: eine Türkei, die passiv ist angesichts der Niederschlagung von Protesten in Syrien, nichts sagt, auf keinen internationalen Foren zu Syrien oder Libyen präsent ist. Es wäre ein Manko.