Die Spuren des Verbrechens: Für Passanten in der mexikanischen Stadt Acapulco sind mit Kreide markierte Tatorte nichts Besonderes. Die Medien schweigen immer öfter über die Gewalttaten.

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Über Tamaulipas hat sich der Mantel des Schweigens ausgebreitet - die Omertà der Drogenkartelle. In dem nordöstlichen Bundesstaat an der Grenze zu den USA, in dem 2,8 Millionen Menschen leben, tobt ein blutiger Krieg der Zetas gegen das Golfkartell, doch in den Medien findet sich davon kaum etwas wieder. Mit Bombenattentaten, Morden und Drohungen wurden sie gefügig gemacht.

Einzig Blogger und Twitterer wagten es noch, darüber zu berichten. Blogs wie Frontera Al Rojo Vivo, La Polaka, Nuevo Laredo en vivo und Blog del Narco sind in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen und verbreiten ebenso unüberprüfbare wie unzensierte und blutrünstige Informationen über den Krieg.

Vier mutmaßliche Blogger ermordet

Doch nun sind auch sie ins Visier der Drogenmafia geraten. In den vergangenen Wochen wurden vier mutmaßliche Blogger ermordet und furchtbar verstümmelt aufgefunden. Neben den Leichen fand die Polizei Drohungen, dies widerfahre allen "Internetpetzern". Die Botschaften waren mit "Z" gezeichnet, einer Abkürzung für die Zetas, eine Einheit ehemaliger Elitesoldaten, die als besonders grausam verschrien sind.

Die Toten konnten bisher nicht eindeutig als Blogger oder Twitterer identifiziert werden - doch die Drohung reicht aus, um in der Community Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Krieg macht auch vor den sozialen Netzwerken nicht halt. "Die Kartelle haben kapiert, dass das Internet sehr viel einflussreicher ist als die traditionellen Medien, und versuchen nun, diesen letzten Informationskanal zu blockieren", so der Drogenexperte Jorge Chabat vom Zentrum für Wirtschaftliche Forschung und Lehre (CIDE).

Drohung von Anonymous

Fest steht, dass die Zetas nach Drohungen der Anonymous-Gruppe Anfang November ein zuvor entführtes Anonymous-Mitglied wieder freiließen. Die Hacker hatten eine Frist zur Freilassung gesetzt, andernfalls wollten sie Details über die kriminellen Machenschaften der Drogenbande veröffentlichen, berichtete der mexikanische Sender Televisa. Dem Bericht zufolge verkündete ein Anonymous-Mitglied die Freilassung über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Aber auch die Regierung geht harsch vor gegen die Nutzer der sozialen Netzwerke. So wurden in Veracruz eine Großmutter und ein Mathematiklehrer festgenommen und als Terroristen angeklagt, weil sie Informationen über einen angeblich bevorstehenden Angriff eines Drogenkartells auf Schulen weitergetwittert hatten. Daraufhin breitete sich Panik aus, aufgebrachte Eltern rasten zu den Schulen und verursachten Unfälle.

Eilig neues Gesetz erlassen

Beobachter gehen davon aus, dass die Regierung mit diesem Fall ein Exempel statuieren will. Die beiden wurden zwar nach weltweiten Protesten freigelassen, doch die Regierung stampfte in aller Eile ein Gesetz aus dem Boden, das Landfriedensbruch und die Verbreitung von Falschinformationen unter Strafe stellt. "Internet und soziale Netzwerke werden so von beiden Seiten in die Zange genommen, vom Staat und vom organisierten Verbrechen", sagt Juan Carlos Romero von der Organisation Capitulo 19, die sich der Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit widmet.

Das ist nach Auffassung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International jedoch der falsche Weg. "Die Behörden haben die Pflicht, in diesem Klima des Misstrauens für verlässliche Informationen zu sorgen", so die Gruppe. Doch was Gerücht ist, was Wahrheit, wer hinter welcher Information steckt und sich auf welche Weise die Medien zunutze machen wird - all das verliert sich zunehmend im Propagandagetöse des blutigen Drogenkriegs. (Sandra Weiss aus Mexiko-Stadt, DER STANDARD, Printausgabe, 23.11.2011)