Peter Stöger und Alfred Ludwig am Stammtisch im Eck vom Holunderstrauch oder auch "Hollerbusch", der ein Gast-, aber schon auch ein Wirtshaus ist. Und so wird der Herr Wirt ab und zu vorbeischauen, um sich an der Diskussion zu beteiligen.

Foto: Christian Fischer

Wien - Wie das halt so ist bei einem Stammtisch. Da herrscht ein Kommen und Gehen. Jetzt zum Beispiel kommt Peter Stöger. Herzliche Begrüßung des ehemaligen Teamkickers und aktuellen Trainers von Wiener Neustadt. Der Herr Wirt wirkt ein bisserl nervös. Er würde Stöger zwar eher unter Austrianer einordnen, drückt aber als eingefleischter Rapidler wohl insofern ein Auge zu, als Stöger ja auch zu einem grün-weißen Meistertitel (1996) sein Scherflein beigetragen hat.

Alfred "Gigi" Ludwig lässt die Stammtischrunde warten. Der Generaldirektor des Fußballbunds (ÖFB) steht im Stau. Er habe "die falsche Entscheidung getroffen", wird er später berichten, die falsche Entscheidung hieß Nordbrücke. Als er auf der Lände bei einer roten Ampel telefonisch Bescheid geben will, lässt im Auto neben ihm der Beifahrer das Fenster herunter und weist ihn an den Straßenrand. Zivilstreife. Und schon ist Ludwig um 23 Euro ärmer.

Derweil nimmt der Wirt die erste Bestellung auf. Stöger ist mit Apfelsaft alkoholfrei unterwegs, dennoch bald in medias res. Zu Marcel Kollers erstem Auftritt als Teamchef könne er festhalten: "Koller ist in seinen Aussagen sehr klar. Was er sagt, hat Hand und Fuß, das ist ein positives Zeichen." Er, Stöger, habe auch weder Koller noch dessen Bestellung (zum Teamchef) kritisiert, sondern nur festgehalten, man sollte "unsere tolle Trainerausbildung vielleicht hinterfragen", da kein Österreicher zum Zuge kam.

Standard: Herr Stöger, halten Sie Koller für qualifiziert?

Stöger: "Er war jedenfalls länger in Deutschland tätig als jeder Trainer hier bei uns. Ansonsten kann ich wenig sagen, ich kenne ihn ja nicht, hab kein Training von ihm gesehen, hab nur einmal kurz mit ihm telefoniert. Aber ich hab ein ganz gutes Gefühl, weil wir eine ganz gute Mannschaft haben, aus der man etwas rausholen kann."

Ludwig trifft ein, macht seinen Rückstand quasi wett, indem er die Speisekarte links liegen lässt. "Ich muss auf meine Linie schauen." Apropos Linie. Ist es die neue im ÖFB, dass Niederlagen zu Triumphen geredet werden? Ludwig wehrt sich. Teamchef und Spieler hätten "besonnen reagiert" nach dem 1:2 in der Ukraine. Sich "gefreut über die Leistung, geärgert über das Resultat". Stöger würde nicht meinen, dass die Leistung allein schon den Aufbruch in eine neue Ära dokumentiert habe. Er erinnert an die Spiele in Serbien und daheim gegen die Deutschen. "Anderer Trainer. Aber auch gute Leistungen."

Der Wirt, der Ludwig einen Radler hingestellt hat, hält inne und wendet sich an Stöger. "Wo ich Sie schon einmal hier sitzen habe." Wieso gar so wenige österreichische Trainer derzeit im Ausland tätig seien, will er wissen. Schließlich kickten ja relativ viele Österreicher etwa in Deutschland.

"Schon", sagt Stöger. "Ein Klub hat ja auch Platz für dreißig Spieler. Aber nur für einen Trainer. Es schaut kaum jemand vom deutschen Markt auf österreichische Trainer. Unsere Bühne ist nicht zu klein, wir haben keine."

Der Faktor Glück, Stöger kommt immer wieder auf ihn zu sprechen. Er meint nicht das Glück, das einem in den Schoß fällt, sondern jenes, das man erzwingen muss. Auch als Trainer benötige man Glück. "Selbst wenn du in Österreich tätig sein willst. Ich kenne einige gute Trainer, die keine Hacke haben", sagt Stöger. "Natürlich hat auch der Marcel Koller Glück gebraucht, damit er Österreichs Teamchef wird."

Und Glück wird Koller auch weiterhin brauchen. Ohne Glück, da sind sich Stöger und Ludwig einig, übersteht man keine WM-Qualifikation. Stöger ergänzt: "Ohne Glück und Goalies haben wir keine Chance." Und er verweist auf die 1998er-Quali. "Da reden alle vom Herzog-Traumtor gegen Schweden, doch vor allem mussten wir Konsel und Wohlfahrt danken." Die aktuellen Goalies? Von Robert Almer, der in der Ukraine fing, hält Stöger viel. Ludwig hofft darauf, dass Almer nicht Düsseldorf-Ersatzkeeper bleibt, "sondern irgendwo ein Einserleiberl kriegt".

Der Wirt druckst herum

Der Wirt bringt und trägt weg, unauffällig und souverän, so ist es seine Art. Doch jetzt druckst er herum, man merkt schon, er hat etwas auf dem Herzen. Also setz dich dazu, Herr Wirt, was gibt es denn? "Herr Ludwig", sagt er, "eines würd' mich interessieren. Ich hab Sie gegoogelt, Sie sind 61 Jahre alt, seit dreißig Jahren für den größten Sportverband Österreichs tätig. Was motiviert Sie noch, was ist Ihre Vision?"

Just in diesem Augenblick läutet Ludwigs Telefon. "Entschuldigung", sagt er, "das ist mein Teamchef." Hebt ab. "Marcel, ich sitz am Stammtisch, ich ruf zurück. Ich bin gerade in einer Diskussion. Ja, danke, ciao." Wo waren wir? Ah ja, Ludwigs Vision. "Ich bin fürs Wirtschaftliche zuständig", führt er aus. "Und ich habe den Ehrgeiz, dass der ÖFB auf einige Jahre hinaus keine großen Sorgen hat, wenn ich dort weggehe." In drei Jahren laufe sein Vertrag aus, dann sei Schluss. "Der Grat zwischen einem Menschen mit viel Erfahrung und einem alten Trottel ist schmal." Ein schönes Trainingszentrum für alle Nationalteams ab der U16 schwebt ihm noch vor. "Das ist sozusagen mein letzter Traum."

Standard: Herr Ludwig, was hat es zu sagen, dass ÖFB-Präsident Leo Windtner nach Kollers Antritt festhielt, nun werde "endlich professionell gearbeitet". Wie wurde denn vorher gearbeitet?

Ludwig: "Liebe Leute, ich kann und will, auch am Stammtisch, nicht kommentieren, was mein Präsident sagt. Da müsst ihr den Windtner herholen."

Das wäre freilich zu weit hergeholt, Windtner ist auch als ÖFB-Chef in Oberösterreich geblieben. Mehr stört Stöger freilich, dass auch die neun Präsidenten der Landesverbände bei der Teamchef-Bestellung mitreden können. "Die werden mich vielleicht steinigen. Aber ich finde, sie haben dort nichts verloren." Ludwig: "Peter, da muss ich dir widersprechen. Jeder Präsident hat seine Leute, mit denen er sich berät." Es habe von Beginn an ein Anforderungsprofil gegeben, dann habe man Fühler ausgestreckt, Kandidaten kontaktiert.

Mit einigen hätte er, Ludwig, schon Details besprochen. "Bis hin zu Prämien für einen WM-Titel." Andere hätten ihm sofort abgesagt. "'I am sorry', hat mir der Frank Rijkaard am Telefon gesagt. Der wollte unbedingt als Klubtrainer arbeiten." Ob Koller Österreich zur WM 2014 führen kann? "Wenn man nicht die Hoffnung hat, dass sich etwas verändert", sagt Ludwig, "verändert man nichts." Stöger: "Die Quali für die EM wäre wohl leichter gewesen, als jene für die WM wird." Wieder kommt er auf das Glück zu sprechen. In jeder Quali, in jeder Partie gebe es die eine und vielleicht noch die andere Situation, in der vielleicht nur ein einziger Spieler das Richtige machen müsse. "Natürlich ist das nicht nur Glück, sondern auch Qualität."

Manchmal gleicht sich alles aus im Leben. Ludwig ist später gekommen, dafür geht er früher. Die Runde löst sich freilich nur langsam auf. Stöger bleibt noch ein Zeiterl sitzen, erzählt über die Arbeit in Wiener Neustadt. Natürlich ist man früher oder später und auch zwischendurch vom Thema abgekommen, das liegt in der Natur der Sache. Zahlen bitte, Herr Wirt. Erst jetzt wird am Stammtisch der Mantel des Schweigens gebreitet, über die Höhe der Rechnung nämlich. Es stimmt schon, was da über der Schank steht: "Vom Herrn wird gegeben, vom Herrn Wirt genommen." (DER STANDARD-Printausgabe, 23.11. 2011)