Die Grünen sind die Guten. Sie haben den Anspruch auf das Etikett "anständig" redlich erworben. Als einzige Parlamentspartei sind sie - nach immerhin 25 Jahren - frei von jedem Anstrich von Korruption. Gibt es nicht. Nicht nur mangels Gelegenheiten, sondern auch dort nicht, wo es die Möglichkeit dazu gäbe, also etwa bei den Regierungsbeteiligungen in Graz oder Bregenz, in Oberösterreich oder Wien. Freunderlwirtschaft, Begünstigung, persönliche Bereicherung - es sind keinerlei Fälle grüner Beteiligung bekannt.
Dennoch können die Grünen aus diesem außerordentlichen Alleinstellungsmerkmal kein politisches Kapital schlagen. Die Anständigkeit lässt sich offenbar nicht in Wählerzuspruch umsetzen. In wohlmeinenden Umfragen liegen die Grünen bei 13 bis 15 Prozent, aber sie waren immer schon Umfragenkaiser. In der Realität stehen 10,4 Prozent im Bund und als bestes Länderergebnis derzeit 12,6 Prozent in Wien auf dem Papier.
Von einer Regierungskoalition im Bund (mit zwei Parteien) liegen die Grünen meilenweit entfernt. Das wird sich nicht ausgehen. Das liegt freilich auch in der Schwäche der beiden "Großparteien" SPÖ und ÖVP begründet, die kaum mehr an die-30 Prozent-Marke heranreichen. Für die Grünen: frustrierend.
Der Grund für die grüne Stagnation liegt in der Kommunikation begründet: Dass die Grünen anständig sind, ist schön für sie. Da haben die Leute aber nichts davon. Es gelingt der Parteiführung nicht, einer breiteren Schicht über das Kernpublikum hinaus zu vermitteln, was Grün bewirken könnte. Die Bürger werden in ihrer Lebenswelt nicht angesprochen. Bildung, Arbeit, Verkehr, Energie, Bürgerrechte - die Grünen haben wunderbare Ideen und Konzepte, es gelingt ihnen nur nicht, das kommunikativ auf die realen Bedürfnisse der Menschen herunterzubrechen.
Gerade Eva Glawischnig, die Chefin, erweckt den Eindruck, sie würde von oben herab kommunizieren: arrogant, ein bisschen zu gescheit. Da ändert auch der Spleen, zunehmend den lässigen Dialekt zu bemühen, nichts daran: zu viel Wissen, zu wenig Botschaft. Zu viele Konzepte, zu wenig Volksnähe. Die Lebenswelt der meisten Menschen ist eben eine andere als die, für die Glawischnig geradesteht.
Die Partei bräuchte Übersetzer, die erklären, was der Transfer von der Theorie in die Praxis bewirken könnte. Wobei nicht alles, was den Strategen einfällt, auch dem Realitätscheck standhält. Aber das ist die Gnade der Opposition, erst einmal alles thematisieren zu können und nichts umsetzen zu müssen. Bei der Forderung nach zusätzlichen Einnahmen für den Staat in der Höhe von vier Milliarden Euro alleine durch vermögensbezogene Steuern täte sich allerdings auch ein Übersetzer schwer. Da schießen die Grünen dann doch eher ihre Zielgruppe ab als nur über diese hinaus.
In Wien wiederum zeigt Maria Vassilakou, was es heißt, durch die Mühen der Ebene zu gehen und auch unpopuläre Maßnahmen in Angriff nehmen oder mittragen zu müssen - vom teuren Parken bis zur Hundehaltung. Dass ausgerechnet Vassilakou als gebürtige Griechin dabei keinen Übersetzer braucht und den richtigen Ton trifft, spricht für sie und spricht für die Grünen. Dass sie 25 Jahre dorthin gebraucht haben, kann nur als Herausforderung verstanden werden: Um die Früchte des Erfolgs einzufahren, werden sie ein Alzerl mehr an Tempo und Ehrgeiz zulegen müssen.(DER STANDARD; Printausgabe, 23.11.2011)