"Als ich bei der BBC als Nachrichtensprecher anfing, war ich vor der Kamera immer sehr entspannt, weil ich dachte, das wäre sowieso nur ein vorübergehender Job. Schließlich wollte ich immer noch Arzt werden."

Foto: Riz Khan

Anchorman Riz Khan sprach bei der SIME Stockholm mit derStandard.at über internationale Verschiebungen im Newsbusiness, arabische Reporterinnen und die Energie des Neuanfangs.

derStandard.at: Sie haben den Sender Al Jazeera English mitaufgebaut. Wie kamen Sie in die Medienbranche?

Riz Khan: Seit ich sechs Jahre alt war, wollte ich Arzt werden. Also habe ich Neurologie studiert, konnte mir aber meine klinischen Studien als Sohn einer alleinerziehenden Mutter nicht leisten und landete, um mir etwas Geld dazuzuverdienen, per Zufall nach einem Radiojournalismus-Kurs bei der BBC. Genau zu dieser Zeit entdeckte die BBC, dass sich ihr Publikum veränderte und sie eine differenziertere Programmpräsentation brauchten. So wurde ich zum ersten südasiatischen Fernsehsprecher in den Mainstream-Nachrichten. Ich wurde daraufhin auch in die Entwicklung von BBC World miteinbezogen, bis mich CNN abwarb und ich dort vor und hinter dem Bildschirm an der Entwicklung von CNN International mitarbeitete. Auch dort war ich der erste südasiatische Nachrichtensprecher.

derStandard.at: Sie fungierten also immer wieder als ethnisches Aushängeschild?

Khan: Ich habe es eigentlich nie so gesehen, aber als ich das erste Mal bei CNN vor die Kamera trat, hatten sie keine Make-Up Farbe für meinen Hautton, also mischten sie eine passende aus "African American" und helleren Tönen. Wahrscheinlich war ich ein ethnisches Aushängeschild. Aber die Zeiten haben sich geändert, jetzt sieht man viele Menschen indischer oder pakistanischer Abstammung im Fernsehen. Einige von ihnen sind auch schon auf mich zugekommen und erzählten mir, dass ich als TV-Moderator für sie als Wegbereiter fungiert habe. Sie konnten zu ihren Eltern gehen und sagen: "Schaut, auch TV-Moderator kann ein respektabler Beruf sein." In der Kultur meiner Eltern wollten alle Ärzte, Anwälte oder Geschäftsmänner werden, aber niemand Journalist. Jetzt ändern sich die Zeiten.

derStandard.at: Wie kamen Sie dann zu Al Jazeera?

Khan: Ich habe CNN total ausgebrannt im Mai 2001 verlassen. Danach habe ich ein paar Jahre als Freelancer gearbeitet und mein erstes Buch "Al-Waleed: Businessman Billionaire Prince" geschrieben, als 2004 Al Jazeera auf mich zukam und mir erzählte, dass sie einen englischen Sender gründen wollten. Für mich war in erster Linie wichtig, dass wenn ich mich am Aufbau beteiligen sollte, der Sender politisch neutral sein muss. Mir wurde die politische Unabhängigkeit zugesichert und so begann ich, Leute für den neuen Sender zu suchen. Ich liebe es, Dinge anzufangen. Die Energie, etwas vom Reißbrett weg aufzubauen, ist einfach die Beste und außerdem lernt man bei jedem Mal sehr viel.

derStandard.at: Welche Rolle haben Sie in der Berichterstattung zum Arabischen Frühling eingenommen?

Khan: Dadurch, dass ich Moderator einer täglichen Live-Show war, habe ich nie vom Ort des Geschehens berichtet, was für einen Journalisten wirklich frustrierend sein kann. Das Gute am Live-Charakter aber war, dass die Menschen in unserer Show über Telefonanrufe, Tweets und E-Mails mit unseren Studiogästen diskutieren konnten.

derStandard.at: Warum wurde Ihre tägliche "Riz Kahn Show" im April gestoppt?

Khan: Bei uns wechseln die Manager jedes Jahr und die neuen Manager versuchen immer, dem Sender ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Wir sind zwar wieder in Gesprächen über eine andere wöchentliche Show, aber das Problem war, dass ich dort so viel machte. Ich hatte die tägliche Live-Show, die im April geendet hat, und eine wöchentliche auf Biografien spezialisierte Serie, die ich geliebt habe, die aber auch im August abgesetzt wurde. Ich habe also eigentlich seit Monaten keine Shows mehr dort gemacht.

derStandard.at: Das ist sicher eine sehr enttäuschende Situation für Sie, wo Sie den Sender doch mit aufgebaut haben.

Khan: Ja, es ist schon etwas frustrierend. Wir werden sehen. Wir haben ein weithin britisches Management und die neigen dazu, einer Grundregel im Fernsehen nicht zu folgen: "People watch People". Ich mache mit den Leuten öfters einen Test, indem ich sie frage, wie viele Shows sie mir auf CNN aufzählen können. Die meisten scheitern an dieser Aufgabe. Wenn ich sie aber nach den Moderatoren frage, fließen die Antworten.

derStandard.at: Wollen Sie diese Phase für eine Neuorientierung nutzen?

Khan: Ich kann mich nicht beschweren, ich hatte ein wirklich tolles Leben. Die Welt ändert sich und bietet immer neue Herausforderungen. Ich habe bei den drei großen Playern BBC, CNN und Al Jazeera gearbeitet, aber was ist mit France TV, Russia Today, das gerade einen Aufschwung erlebt oder CCTV, den chinesischen Kanal, der derzeit massiv Leute, auch von Al Jazeera, anwirbt. Was gerade passiert, ist, dass weltweit die Frage gestellt wird: Warum soll alles aus einer westlichen Perspektive betrachtet werden? Das ist auch, was Al Jazeera sich gedacht hat.

derStandard.at: Glauben Sie, dass der Arabische Frühling Auswirkungen auf Al Jazeera haben wird?

Khan: Ich hoffe nicht. Die Journalisten, die beim Sender arbeiten, würden eine doppelgesichtige Herangehensweise an Nachrichten nicht tolerieren.

derStandard.at: Arbeiten im Reporter-Team von Al Jazeera viele Frauen?

Khan: Absolut. Ironischerweise sind die Frauen dort die stärkeren Charaktere. Viele der Berichte vom arabischen Frühling wurden beispielsweise von Sherine Tardos geliefert. Im Mittleren Osten sind es oft die Frauen, die vor Ort berichten. Ich glaube es liegt daran, dass Frauen, die aus palästinensischen Gebieten, Jordanien oder Syrien kommen, gelernt haben, einen starken Charakter haben zu müssen, um Gehör zu finden. Es ist gefährlich, die intellektuelle Macht und Dynamik arabischer Frauen zu unterschätzen. Hinter dem Vorhang sind sie sehr viel stärker, als man glaubt. (derStandard.at/23.11.2011)