Noch schmeckt der Kuchenrest vom Vortag gut: Kate Winslet und Christoph Waltz als das bürgerlichere Ehepaar in Roman Polanskis "Der Gott des Gemetzels".

Foto: Constantin

Das großartige Schauspielerquartett spielt um die Wette.

Wien - Vier Personen suchen einen Kompromiss. So könnte die Essenz von Yasmina Rezas Salonkomödie Der Gott des Gemetzels (Carnage) lauten, wenn man den zwei Paaren, die da aufeinandertreffen, noch eine gute Absicht unterstellen möchte. Dies wird jedoch bald zur Nebensache. Statt Lösungen anzupeilen, kommen die Protagonisten richtig in Fahrt. Die Mechanik des Stückes ist auf routinierte Weise perfide: Vier erwachsene Menschen lassen sich gehen, ihre Weltanschauungen reiben sich aneinander, sie wanken ein wenig und damit auch ihre Fassaden der Toleranz.

Interessant ist, dass Roman Polanski sich für diese Filmadaption gerade zu jenem Zeitpunkt entschieden hat, als er von seiner Vergangenheit eingeholt wurde und wegen seines Vergewaltigungsdelikts von 1977 in der Schweiz unter Hausarrest stand. Das stärkt die Lesart, dass es ihm eine infame Freude bereitet haben könnte, ein liberal-humanistisch gesinntes Pärchen (Jodie Foster, John C. Reilly) mit einem sozial etwas besser gestellten, bürgerlicheren (Kate Winslet, Christoph Waltz) so lange ringen zu lassen, bis hinter ihren Überzeugungen Frustration, Boshaftigkeit und Selbstmitleid zum Vorschein kommen.

Umgekehrt ist dies keineswegs der erste Film Polanskis nach einem Theaterstück, und die Kampfzone einer Wohnung in Brooklyn nur einer dieser eng begrenzten Räume mehr, auf die der polnische Regisseur schon in frühen Filmen wie Ekel oder Der Mieter spezialisiert war. Sie waren noch stärker der Paranoia zugeneigt, Der Gott des Gemetzels gehorcht hingegen der Logik einer Eskalation, die jeder Teil des Quartetts auf seine Weise vorantreibt. Die Kinder, das sieht man zu Beginn aus der Distanz, hatten Streit, die Eltern sollen nun die Versöhnung in die Wege leiten, doch es herrscht schon Uneinigkeit über die Qualität der Verfehlung - von da an ist es nur eine Frage der Zeit, bis zwischen und auch unter den Paaren selbst die Funken sprühen. Den Rest erledigt der Whiskey.

Ohne Nahtstellen

Auf engem Raum ist Timing alles. Polanskis Inszenierung ist punktgenau, der Fluss des Films sehr ökonomisch, dabei ist nicht eine Einstellung wie die andere. Es liegt an der Dramaturgie des Geschehens, für Einschnitte zu sorgen: Seien es die ständigen Handytelefonate des von Waltz verkörperten Anwalts (was die "Versenkung" dieses Teils nach sich zieht); sei es Winslet, die sich über die Szenerie erbricht (und damit das Rauschhafte dieses Konflikts unterstreicht); seien es die Gastgeber selbst, die ihre Eheroutinen offen thematisieren (und die anderen zu Zuschauern degradieren).

Im Kern bleibt der Film ein höchst unterhaltsamer Schaukampf schauspielerischer Schwergewichte. Die ironisch-künstlichen Posen von Waltz konkurrieren mit dem bodenständigem Charme von Reilly, und Fosters fast schon selbstparodistische Rage (man achte auf die Halssehnen) wetteifert mit dem schicken Habitus von Winslet, der etwas Vulgäres verdeckt. Die Konzentration, mit der sich alle vier ins Zeug legen, harmoniert bestens mit einem Stück, das seine Einsichten den Effekten nachreiht. (Dominik Kamalzadeh  / DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2011)