Wien - Heute noch Lieder schreiben, und dann auch noch ohne Begleitung des Klaviers, sondern durch die Posaune - ob das geht?

Wenn der Komponist Friedrich Cerha heißt, dann ist die Verbindung zur (nach)romantischen Tradition dabei zwar nicht ganz abgerissen, aber die Musik findet doch einen unverkennbaren Ton. Und sie findet zu authentisch wirkendem Ausdruck, gerade auch dann, wenn sie an eine längst verflossene Stilistik (im Geiste Schönbergs, Bergs und Weberns) anknüpft, dabei freilich zugleich spürbar über sie hinausweist.

Nach Lyrik von Emil Breisach hat Cerha in Malinconia hochexpressive, intime Miniaturen geschaffen, die der exzeptionelle Georg Nigl mit Posanist Walter Vogelmayr im Casino Baumgarten erstmals an die Öffentlichkeit brachte: mit einer Innerlichkeit, die jederzeit das Existenzielle berührte und Stimmkultur mit herber oder fahler Zuspitzung jenseits des Schönklangs verband.

Wesentlich mehr über diese Grenze zu gehen hatte Nigl in Wolfgang Mitterers Liederzyklus Im Sturm, das eine kluge Textmontage aus Schubert-Liedern und anderen Materialien mit freitonaler Deklamation, schreienden Ausbrüchen, bunten elektronischen Zuspielungen und einem zuweilen etwas floskelhaft wirkenden Klavierpart verband.

Freilich ist Mitterer, der die instrumentalen Schichten beisteuerte, ein begnadeter Augenzwinkerer, der eingestreute Zitate gern einmal ins Lächerliche zieht. Was er aber mit seinem Update romantischer Liebeslyrik erreichen wollte, blieb in der Schwebe - doch selbst das könnte ja Absicht sein.

Heute noch hochkonzentrierte "reine" Musik schreiben - auch das geht, wie Gerd Kühr im Schömer-Haus Klosterneuburg mit der Uraufführung seiner Música Pura bewies: Die fünf kurzen Sätze, bei denen der Komponist das Ensemble "die reihe" dirigierte, sind äußerst sparsam, aber dabei keineswegs fragmentarisch, gehen meist von punktuellen Ereignissen aus, finden jedoch immer zu sinnfälligen Zusammenhängen.

Neben diesen Miniaturen, die ihre Expressivität hinter einer scheinbar kargen Oberfläche verbargen, erklangen Alte-Musik-Transformationen von Karlheinz Essl, Peter Maxwell Davies und Harrison Birtwistle, danach die ganz unpuristischen Quellen des heurigen Wien-Modern-Schwerpunktkomponisten: ein Kaleidoskop von Stilen zwischen abendländischer Polyfonie und afrikanischer Polyrhythmik - und nichtsdestotrotz ein echter Cerha.  (Daniel Ender / DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2011)