Nur mit Helm ins Gelände, raten die Experten.

Informationen: Alpinforum

Foto: Montafon Tourismus

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Wer war das erste Opfer eines Alpinunfalls? Stimmen die Vermutungen zweier Forscher an der Universität Innsbruck, des Anatomen Karl-Heinz Künzel und des Radiologen Wolfgang Recheis, so war es Ötzi, der jungsteinzeitliche Alpenüberquerer, dessen mumifizierte Leiche vor zwanzig Jahren am Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen gefunden wurde. Nicht der Pfeilschuss in die linke Schulter, wie bisher angenommen, soll nämlich seinen Tod herbeigeführt haben, sondern ein Bergunfall, ein Sturz, der einen knöchernen Einriss in der Schädelnaht verursacht habe. Eine gelbliche Verfärbung des Augapfels wird von den Wissenschaftern als Blutspur interpretiert. Hätte es zu Ötzis Zeiten schon einen Schutzhelm gegeben, und hätte er ihn getragen, so wäre er vermutlich am Leben geblieben.

Vom Eismann Ötzi zu einer Gegenwart, in der nicht ein einsamer, schlecht gekleideter Mann aus welchen Gründen auch immer, sondern zehntausende, von einer globalen Industrie perfekt und teuer ausgerüstete Freizeitsportler sich in den Alpen tummeln! Zum sechsten Mal fand Anfang November die "Alpinmesse" in Innsbruck statt, die den Besuchern die neuesten Produkte der alpinen Sportartikelindustrie schmackhaft macht.

Verbunden mit der Messe ist das "Alpinforum", organisiert von dem seit fünfzig Jahren aktiven "Kuratorium für alpine Sicherheit" und dessen Präsidenten Karl Gabl. Ziel des Alpinforums war es, in Vorträgen und Workshops Aufklärung zu leisten, die abgelaufene Saison zu analysieren und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskutieren.

176 Menschen sind vom 1. Mai bis 31. Oktober auf Österreichs Bergen tödlich verunglückt, 90 Prozent der Opfer sind Männer, mit 86 Toten liegen Wanderer an der Spitze, beim Klettern dagegen verletzten sich nur 21 tödlich. Überraschend hoch ist mit 50 Prozent der Anteil an Herzinfarkt-Opfern.

Eine Besonderheit des heurigen Sommers war, dass nach einer langen Periode instabiler Witterung ein herrlicher Spätsommer bei Bergsteigern Nachholbedarf erzeugte, dem versäumtes Training vorausgegangen war. Peter Veider, hauptamtlicher Geschäftsführer der Tiroler Bergrettung, die über 93 Ortsstellen, 4290 Bergrettungsleute und 66 Suchhunde verfügt, konstatiert auffallend viele Einsätze, bei denen es nicht um Verletzte, sondern um Erschöpfte ging. Dies betrifft besonders Klettersteige, auf denen die Bergsteiger zwar durch Stahlseile und Steigleitern, in die sie sich mit Karabinern einhängen, gegen Absturz gesichert sind, aber gerade dadurch oft ihre Kondition und wahrscheinlich auch ihre Schwindelfreiheit unterschätzen.

Ein besonderes Thema beim Alpinforum war angesichts des bevorstehenden Skitourenwinters wieder die Lawinengefahr. Wenn in diesem Zusammenhang neuerdings die Verwendung von Helmen und Rückenprotektoren auch auf Skitouren empfohlen wird, so könnte man dabei vielleicht Druck der Ausrüstungsindustrie wittern. Neue Untersuchungen sprechen freilich eine andere Sprache. Zwar ist nach wie vor die Verwendung von Lawinenverschütteten-Suchgeräten (LVS-Geräte) die wichtigste Hilfe bei Lawinenunglücken. Ohne die Bedienung der immer perfekteren Geräte immer wieder geübt und damit automatisiert zu haben, bleibt jeder Rettungsversuch durch Kameraden stümperhaft. Denn nach wie vor gilt, dass nur in den ersten fünfzehn Minuten eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit gegeben ist.

Allerdings gibt es neue Erkenntnisse. Nach einer von Bilek und seinem Kollegen Walter Würtl, Berg- und Skilehrer und gerichtlich beeideter Sachverständiger, durchgeführten Auswertung aller österreichischen Lawinenunglücke der letzten sechs Winter zeigte sich, dass von 143 Toten 46, also rund ein Drittel, nicht durch Ersticken oder Unterkühlung starben, sondern durch traumatische Verletzungen, also bei Kollisionen mit Felsen oder Bäumen in der Lawine. Der Schutz von Kopf und Rückgrat erscheint im Lichte dieser Erkenntnis tatsächlich als ein wichtiger Faktor bei der Vermeidung von Lawinenverletzungen. Eine Helmpflicht lehnen die Alpinexperten allerdings ab, sie appellieren an die Vernunft. (Horst Christoph/DER STANDARD/Rondo/25.11.2011)