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Das einer Baby-Schneerobbe nachempfundene Kuscheltier "Fine" reagiert auf Streicheleinheiten und kommt in der Pflege Demenzkranker zum Einsatz.

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Für Jürgen Osterbrink, Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg,"eine Idee aus der Giftküche".

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"Für manche Menschen kann dies ein Ersatz sein - vergleichbar mit einem 'sprechenden, intelligenteren' Hund - für andere nicht", meint Robert Trappl, Leiter des Österreichischen Forschungsinstituts für Artificial Intelligence OFAI.

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662.000 Menschen in Österreich sind derzeit über 75 Jahre alt. Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl auf mehr als eine Million steigen; jeder Neunte wird dann älter als 75 Jahre alt sein.

Schon jetzt herrscht ein Notstand an Pflegepersonal. Künftig wird es immer weniger Pflegende bei einer immer höheren Zahl an Pflegebedürftigen geben. Liegt die Zukunft der Pflege im Einsatz von Pflegerobotern? fragen wir Jürgen Osterbrink, Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg, und Robert Trappl, Leiter des Österreichischen Forschungsinstituts für Artificial Intelligence OFAI.

derStandard.at: Sogenannte "Kuschelroboter" wie die Robbenbabynachbauten "Paro" oder "Fine" kommen in Japan und Deutschland vor allem in der Betreuung demenzkranker Menschen zum Einsatz. Die Idee geht von Erfahrungen aus der tiergestützten Therapie aus. Ist es vertretbar, wenn einem Demenzkranken eine künstliche Emotion vorgespielt wird, oder ist die "Versorgung" mit maschinell simulierten Gefühlen würdelos?

Robert Trappl: Gegenfrage: Empfinden Sie es würdelos, wenn Ihnen eine Verkäuferin oder ein Hotelangestellter Gefühle vorspielt? Für manche Verkäufer oder Hotelangestellte ist es würdelos, für Kunden oder Hotelgäste fast nie. Würdelos ist es, wenn Ihnen am Telefon ein Sprachspeicher mitteilt, "Ihr Anruf ist uns besonders wichtig". Ein Roboter sollte nie ein falsches Gefühl äußern. Er muss aber menschliche Gefühle erkennen können - zum Beispiel Zorn oder Wut - und seine Aktionen darauf abstimmen.

Jürgen Osterbrink: Kuschelroboter halte ich für eine Idee aus der Giftküche. Gerade Menschen, die an Demenz leiden, brauchen Versorgungskontinuität und vor allem auch Wiedererkennung. Tiergestützte Therapie ist in der Betreuung Demenzkranker sowie in der palliativen Versorgung ein sehr wichtiger Teil. Da muss man aber wissen: Will der Mensch das? Ich zum Beispiel wäre extrem entsetzt, wenn man mir eine Katze aufs Bett legen würde...

derStandard.at: Abseits von Kuschelrobotern sollen "Butler" oder "Companions" einfache Verrichtungen des täglichen Lebens bewältigen: ein Glas Wasser holen, Essen servieren oder zuhause die Messdaten der Klienten erfassen und an den Arzt übermitteln. Kann mit dem Einsatz von Pflegerobotern mehr Kapazität, im Sinne von Zuwendung, für menschliches Pflegepersonal, frei werden? Oder könnte - im Gegenteil - der Einsatz von Pflegerobotern menschliche Arbeitsplätze gefährden?

Trappl: Es werden viel mehr Pfleger benötigt werden als Menschen dafür zur Verfügung stehen. Schon jetzt holen wir diese aus unseren Nachbarländern nach Österreich. Um etwa in Tschechien den dadurch entstehenden Mangel an Pflegepersonal zu beseitigen, muss Pflegepersonal aus weiter östlich liegenden Ländern angeworben werden und so fort. An eine Gefährdung von Arbeitsplätzen zu denken, scheint in der gegenwärtigen Situation absurd.

Osterbrink: Ich bin ein klarer Verfechter davon, dass Menschen Menschen versorgen. Wenn uns das nicht gelingt, haben wir unseren Auftrag als Solidargemeinschaft verwirkt. Schauen wir uns die Verabreichung von einem Glas Wasser durch einen Roboter an. Bei Menschen mit einer Schluckstörung ist es eine große Herausforderung zu erkennen: Wann braucht dieser Mensch Unterstützung und wodurch kann er weiterhin Betreuung erfahren? In Deutschland und Österreich haben rund 20 Prozent der Menschen, die in Pflege sind oder im Altenheim versorgt werden, eine Peg-Sonde (Magensonde, Anm.Red.). In Norwegen sind es dagegen nur vier Prozent. Warum dieser Unterschied? In Norwegen ist die Zahl an Pflegern fast doppelt so hoch wie in Deutschland und Österreich. Man kann sich dort die Zeit nehmen, das Essen einzugeben.

derStandard.at: Kann eine Maschine menschliche Zuwendung ersetzen?

Trappl: Gegenfrage: Kann ein Hund menschliche Zuwendung ersetzen? Dennoch halten viele ältere Menschen einen Hund, und manche bezeichnen ihn als ihren besten Freund. Aus unseren Forschungsergebnissen können wir schließen, dass es mit Companion-Robotern ähnlich ist: Eine soziale Beziehung kann entstehen, die als hilfreich und anregend empfunden wird. Und desto intelligenter und sozial kompetenter Roboter sein werden, desto anregender kann diese Beziehung sein, möglicherweise sogar anregender als die mit einem Hund. Für manche Menschen kann dies ein Ersatz sein - vergleichbar mit einem "sprechenden, intelligenteren" Hund - für andere nicht.

Osterbrink: Pflege ist eine hoch professionelle Tätigkeit, die ein nichtmenschliches Wesen nicht vermitteln kann. Da wo Pflege drauf steht, muss auch Pflege drin sein. Die Interaktion zwischen zwei Menschen ist einzigartig, Roboter können sie nicht ausführen. Deswegen stoße ich mich an dem Begriff "Pflegeroboter".

derStandard.at: Kann der Einsatz von Robotern zur Isolation der zu pflegenden Menschen führen?

Trappl: Zunächst kann auch überlastetes oder abweisendes, oder gar physisch unsensibles Pflegepersonal zur Isolation oder noch Schlimmerem führen. Das Ziel der Robotikforschung besteht in der Erhaltung und Unterstützung der Mobilität älterer Menschen, sowohl in physischer als auch psychischer Hinsicht. Darüber hinaus arbeiten wir mit Szenarien, wo der Companion seinen Eigentümer bei der Pflege sozialer Kontakte unterstützt.

derStandard.at: Liegt die Lösung der Pflege im Einsatz von Robotern?

Trappl: Ich sehe nicht die Lösung der Pflege in Robotern, ich sehe die Übernahme eines Teils der Pflege durch Roboter als Notwendigkeit an, da wir nicht genügend menschliche Pflegerinnen und Pfleger finden und finden werden.

Osterbrink: Aus pflegewissenschaftlicher Sicht ist der Einsatz von Robotern keine gute Idee. Aus Ingenieurssicht mag es eine Option sein. Die Professionisten und die Menschen, die Pflege aus wissenschaftlicher Sicht betreiben, hat man schlicht und einfach nicht gefragt, ob das Sinn macht. Wenn eine Gesellschaft nicht fähig ist, Betagte und Hochbetagte, von Krankheit Betroffene von Krankheit Bedrohte rehabilitativ und palliativ zu behandeln beziehungsweise zu versorgen, dann sehe ich das als großes Versäumnis an. Würde und würdevolles und professionelles Verhalten stehen im Vordergrund.

derStandard.at: Werden in die Roboter-Projekte auch Ethiker und Pflegewissenschaftler miteinbezogen?

Trappl: Ja, in fast alle dieser Projekte. Ich habe auf Einladung von Joanneum Research dieses Jahr einen Vortrag über Maschinenethik gehalten und schreibe derzeit an einem Kapitel über Roboterethik für ein neues Übersichtsbuch zum Thema künstliche Butler.

derStandard.at: Was braucht es Ihrer Meinung nach, um die Pflege alter und kranker Menschen künftig gewährleisten zu können? Was ist die Perspektive?

Trappl: Ich sehe einen wichtigen Einsatz von Companion-Robotern darin, älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen möglichst lange ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben in ihrem bisherigen Lebensraum zu ermöglichen; dies in Übereinstimmung mit dem Ambient Assisted Living Programm der EU und dem benefit-Programm des BMVIT.

Osterbrink: In der Pflegewissenschaft ist klar zu überlegen: Wie schafft man es vor dem Hintergrund zurückgehender Reserven die Versorgung mit evidenzbasierten Daten zu steuern? Es wird immer weniger Pflegende bei einer immer höheren Zahl an Pflegebedürftigen geben und auch eine höhere Zahl an Angehörigen, die Unterstützung brauchen. Deshalb gilt es einen Ritt auf der Klinge durchzuführen: Welcher Patient braucht welche Versorgung? Zurzeit wird diese Frage in Österreich nicht gestellt.

Politische Lösungen sind gefragt, aber ebenso ein Skill and Grade Mix: die Durchmischung unterschiedlicher Pflegeleistungen von unterschiedlich qualifizierten Mitarbeitern mit den unterschiedlichen offiziellen Zusatz-/Ausbildungen der Mitarbeiter. Ein Beispiel wäre, dass man Pflege im Sinne von Nachbarschaftshilfe forciert. Es gilt, Pflege neu zu denken, und Roboter sind da keine Lösung. (Eva Tinsobin, derStandard.at)