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Vom EuGH droht neuerliches Ungemach.

Foto: APA/Marcus Brandt

 

Hamburg - Die EU verklagt Deutschland erneut wegen der Sonderrechte des Landes Niedersachsen bei VW. Zwei Jahre nach dem gescheiterten Übernahmeversuch von Porsche beschloss die EU-Kommission, abermals ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzuleiten. Nach Angaben der Kommission wird die Entscheidung am Donnerstag per schriftlichem Verfahren bekanntgegeben.

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister kritisierte das Vorgehen. Der Zeitpunkt sei "geradezu grotesk", sagte er in Hannover. Er frage sich, ob die EU-Kommission in der Euro-Krise keine anderen Probleme habe. "Wir sind der felsenfesten Überzeugung, dass das VW-Gesetz EU-rechtskonform ist." Niedersachsen erwäge nicht, seinen VW-Anteil von 20 Prozent aufzustocken. Er werde sich in der Auseinandersetzung um den Erhalt des VW-Gesetzes eng mit den Gremien bei VW abstimmen. McAllister vertritt das Land im Aufsichtsrat von Volkswagen. An die VW-Beschäftigten gerichtet, versprach der CDU-Ministerpräsident: "Die Arbeitnehmer können sich immer auf die niedersächsische Landesregierung verlassen, insbesondere wenn es um Standorte und den Sitz von VW geht."

In dem Streit geht es um die 20-prozentige Sperrminorität, die Niedersachsen auf Hauptversammlungen von VW ein Vetorecht gibt. Das Land ist zweitgrößter Anteilseigner des Wolfsburger Autobauers hinter der Porsche Holding SE mit knapp 51 Prozent. Das Emirat Katar hält 17 Prozent.


OETTINGERS MEINUNGSWANDEL

Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger war EU-Insidern zufolge dagegen, das Verfahren wieder aufzurollen. Er konnte den von Binnenmarktkommissar Michel Barnier betriebenen Beschluss aber nicht verhindern. Noch vor drei Jahren hatte Oettinger als Ministerpräsident Baden-Württembergs die strikte Haltung der EU unterstützt, weil damals Porsche durch die Sperrminorität an der Übernahme von VW gehindert wurde.

Die Industriegewerkschaft Metall und das Land Niedersachsen stemmen sich seit Wochen mit Macht gegen die Absicht der Kommission, die Sonderrechte des staatlichen Anteilseigners einzuschränken. Die IG Metall kündigte am Mittwoch den Widerstand der Belegschaften an allen Standorten von Volkswagen an.

EU-Insidern zufolge hat die Kommission auch Italien wegen staatlicher Sonderrechte bei Unternehmen im Visier. Die EU-Kommission wolle der italienischen Regierung am Donnerstag eine Frist von einem Monat geben, um "Goldene Aktien" abzuschaffen, sagten mit den Vorgängen vertraute Personen. Andernfalls wolle die EU Italien verklagen. Goldene Aktien räumen einem Anteilseigner unabhängig von der Höhe seines Anteils Sonderrechte in einem Unternehmen ein.

Reuters hatte bereits vergangene Woche erfahren, dass die EU-Behörde wegen der angeblich mangelhaften Umsetzung des EuGH-Urteils zum VW-Gesetz von 2007 zugleich eine Geldstrafe gegen Deutschland beantragen wolle. Niedersachsens Regierungschef McAllister hatte daraufhin in einem Brief versucht, die Behörde von ihrem Vorhaben abzubringen: "Die Menschen in Deutschland werden nicht verstehen können, dass sie Milliardenhilfen für Griechenland und andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union tragen sollen, während die Kommission ohne hinreichende Rechtfertigung VW an den Pranger stellt", warnte der CDU-Politiker.

"So zerstört man Vertrauen der Menschen in Europa"

IG-Metall-Chef Berthold Huber warf der EU-Kommission vor, mit ihrer Kritik am VW-Gesetz stelle sie die Interessen der Menschen an demokratischer Mitbestimmung und Beteiligung infrage. Gegen die Stimmen der Beschäftigten im Aufsichtsrat können bei VW keine Werke geschlossen werden. Anders als von Kritikern behauptet, stelle das Gesetz auch keine Behinderung des Binnenmarktes dar, hob Huber hervor.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh bezeichnete das Vorgehen der EU-Kommission als fatales Signal. "So zerstört man Vertrauen der Menschen in Europa." Während in vielen Ländern wegen der Euro-Krise Sparpakete geschnürt würden, die von Arbeitnehmern mitfinanziert würden, wolle die EU Mitbestimmungsrechte des VW-Gesetzes einschränken.

Der EuGH hatte 2007 das VW-Gesetz für unvereinbar mit EU-Recht erklärt, da es den freien Kapitalverkehr einschränke und eine feindliche Übernahme unmöglich mache. Die Bundesregierung überarbeitete 2008 das Gesetz und schaffte zwei der drei beanstandeten Regeln ab, behielt aber die Sperrminorität Niedersachsens bei. Wichtige Entscheidungen müssen bei VW auf der Hauptversammlung mit 80 Prozent plus einer Aktie gefasst werden, so dass das Land mit seinem Anteil von etwas über 20 Prozent ein Vetorecht hat.

Die damalige schwarz-rote Regierung beharrte im Streit mit der EU darauf, das Urteil korrekt umgesetzt zu haben. Das Gericht habe nur die Kombination von Sperrminorität und dem inzwischen abgeschafften Höchststimmrecht von 20 Prozent moniert, nicht aber die Blockademöglichkeit an sich. Diese Position änderte sich auch nicht nach dem Wechsel zur konservativ-liberalen Bundesregierung. (Reuters)