"Die Frauen, die jetzt schon länger arbeiten wollen, können das gerne. Sie müssen nicht mit 60 gehen."

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Die Stimmen, dass Frauen später in Pension gehen sollen, mehren sich. Die Anhebung des Antrittsalters soll nicht erst schrittweise ab 2024 erfolgen, sondern schon früher, finden Pensionsexperten und die ÖVP. Die Gewerkschafterinnen haben dagegen eine Resolution verfasst. ÖGB-Frauenchefin Brigitte Ruprecht sagt im Interview mit derStandard.at: "Die Frauen sind doppelt und dreifach belastet und haben niedrigere Einkommen, aber nicht dieselben Chancen am Arbeitsmarkt wie Männer." Deshalb sollen sie zumindest früher in Pension gehen dürfen.

Warum arme Männer in der Frage des Pensionsantrittsalters eine vernachlässigbare Größe sind und weshalb sich Ruprecht trotz ihres Beharrens auf das spätere Antrittsalter der Frauen nicht als Betoniererin sieht, sagt sie im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Die Pensionsexperten Theodor Tomandl und Bernd Marin sind dafür, selbst der ehemalige ÖGB-Chef und heutige Sozialminister Rudolf Hundstorfer sagt, dass es mehr arbeitende Frauen gibt, die noch dazu eine immer höhere Lebenserwartung haben. Warum betonieren Sie in der Frage der früheren Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters so?

Ruprecht: Wir sind nicht die Betonierer. Es geht darum, dass die Gleichstellung der Frauen noch nicht erfolgt ist. 1992 ist man davon ausgegangen, dass wir 2024 die Gleichstellung erreicht haben. Dann kann natürlich auch das Privileg aufgehoben werden und das Antrittsalter der Frauen an das der Männer herangeführt werden. Wir haben aber aktuell 24,3 Prozent Einkommensunterschied bei ganzjähriger Vollzeitbeschäftigung.

derStandard.at: Die ÖGB-Frauen haben eine Resolution gegen eine frühere Angleichung des Pensionsantrittsalters beschlossen. Was hat die nicht vorhandene Gleichstellung mit der Anpassung der Pensionen zu tun?

Ruprecht: Die Frauen sind doppelt und dreifach belastet und haben niedrigere Einkommen, aber nicht dieselben Chancen am Arbeitsmarkt wie Männer. Deshalb arbeiten Frauen bis 60 und Männer bis 65.

derStandard.at: Sie fürchten, dass Frauen dann vermehrt von Arbeitslosigkeit betroffen sind, weil es schon jetzt zu wenige Arbeitsplätze gibt. Wieso mehr als die Männer?

Ruprecht: Frauen zählen früher zum "alten Eisen".

derStandard.at: Experten rechnen allerdings vor, dass es Vorteile für Frauen gibt, wenn sie länger im Erwerbsleben bleiben. Sie erhalten eine höhere Pension, wenn sie mehr Beitragsjahre vorweisen können. Sie können sich auch in Chefetagen länger halten. Deshalb ist beispielsweise auch die Frauenrechtlerin Sybille Hamann für eine Anhebung. Verstehen Sie das Argument?

Ruprecht: Die Frauen müssen ja nicht früher in Pension gehen. Das ist das Gerücht, mit dem immer wieder spekuliert wird. Jene, die einen Arbeitsplatz haben, müssen nicht mit 60 in Pension gehen, aber sie können. Es darf niemand aufgrund des Alters gekündigt werden.

Das Problem ist, dass die Menschen schon vorher arbeitslos sind, und Frauen, die älter als 45 sind, oft nicht behalten werden. Ein Drittel der Pensionsanträge stellen Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit kommen.

derStandard.at: 1992 hat man den Beschluss gefasst, dass Pensionsalter ab 2024 gleichzusetzen – in der Annahme die Gleichstellung von Mann und Frau werde bis dahin erreicht sein. Warum war die Prognose zu optimistisch?

Ruprecht: Damals ist man davon ausgegangen, dass die gleichen Chancen da sind, wenn wir in den 30 Jahren an allen Rädchen und Schräubchen drehen. Das ist nicht eingetreten, wir haben viele Verbesserungen, aber das Ziel noch lange nicht erreicht: Typisch männliche Berufe in der Technik sind viel wert, typische weibliche Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor sind nicht so viel wert.

derStandard.at: Haben die Gewerkschaften versagt?

Ruprecht: Nein. Wir Gewerkschaften sind nur ein Teil der Verhandlungspartner. Wir können in den Kollektivverträgen natürlich Mindeststandards festlegen, die Umsetzung muss aber in den Betrieben stattfinden.

derStandard.at: Das "Zuckerl" für die Frauen ist heute, dass sie früher in Pension gehen, weil sie nicht so viel verdienen. In dieser Hinsicht betonieren Sie also Ihre Position. Sie wollen, dass die Regelung so bleibt, wie sie jetzt ist.

Ruprecht: Nein! 2024 beginnen wir mit der jährlichen Anhebung des Antrittsalters. 2033 haben wir das erreicht, dass die Frauen auch bis 65 arbeiten. Und die Frauen, die jetzt schon länger arbeiten wollen, können das gerne. Sie müssen nicht mit 60 gehen.

derStandard.at: Die schrittweise Anhebung 2024 stellen Sie nicht in Frage?

Ruprecht: Das ist Gesetz, es ist in der Verfassung festgeschrieben. Das ist Gesetzeslage bei uns. Die frühere Anhebung kommt für uns aber nicht in Frage.

derStandard.at: Aber Sie haben zuvor gesagt, dass bis 2024 die Gleichstellung auch nicht erreicht sein wird. Da müsste ihre Argumentation ja auch weiter gehen.

Ruprecht: Freilich, eigentlich müsste man sagen, wir haben das nicht erreicht, was damals vorgegeben wurde.

derStandard.at: Sie sind Jahrgang 1963, fallen also mit Ihrem Alter genau auf die Butterseite und dürfen schon mit 60 in Pension gehen. Ist das jüngeren Frauen gegenüber fair, die heute für die Pensionen von Älteren zahlen müssen, aber einmal gleich lang arbeiten werden wie Männer?

Ruprecht: Die Alten müssen Platz machen für die Jungen, damit sie eine Chance am Arbeitsmarkt haben.

derStandard.at: Glauben Sie, den jüngeren Frauen gefällt das, was Sie jetzt fordern?

Ruprecht: Ja, selbstverständlich. Ich bin jeden Tag am Arbeitsplatz bei den jüngeren Frauen. Ich kann nicht immer von 100 Prozent sprechen. Aber für jene Frauen, für die ich spreche, die sehen alle diese Benachteiligung, die sie jetzt täglich erleben. Sie sind nicht für längeres Arbeiten.

derStandard.at: Sollten auch jene Männer früher in Pension gehen dürfen, die es schwer haben und in Teilzeit oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen leben?

Ruprecht: An sich denke ich, 45 Jahre Arbeit müssten für beide Geschlechter genug sein. Im Durchschnitt erhalten die Frauen 786 Euro Pension und die Männer 1228 Euro.

derStandard.at: Ja, im Durchschnitt. Dennoch gibt es Männer, die ums Überleben kämpfen. Was ist mit denen?

Ruprecht: Das ist jetzt nicht die Frage. Auch die armen Männer in Österreich haben sehr selten die Doppelt- und Dreifachbelastung zu spüren bekommen, weil sie trotzdem um 24 Prozent mehr verdienen bei Vollzeitbeschäftigung als die Frauen. Das kann man nicht so gegeneinander aufrechnen.

derStandard.at: Aber sie rechnen ja auf. Sind arme Männer eine vernachlässigbare Größe?

Ruprecht: In dem Fall schon.

derStandard.at: Warum will der Sozialminister über eine vorzeitige Anhebung des Antrittsalters der Frauen reden?

Ruprecht: Weil er dazu von den Finanzen getrieben wird. Jedes Ressort muss gewisse Einsparungen machen. Und unser Sozialminister schaut natürlich auch, in welchen Bereichen er wieviel Geld reinbringen kann. Er ist ein Getriebener von der politischen Meinung allgemein, und von verschiedenen Kollegen auch.

derStandard.at: Hundstorfer will über ein früheres Pensionsantrittsalter der Frauen diskutieren obwohl er ÖGBler ist. Hat er sich verkauft?

Ruprecht: Ich sehe das als Ausdruck dessen, dass heute die gesamte Politik getrieben von Ratingagenturen ist. Weil wir alle rigoros sparen müssen. Weil uns insgesamt weisgemacht wird, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt.

Es ist vielleicht der leichtere Weg, sich nicht darauf zu konzentrieren, wie man einnahmeseitig einen Staat aus den Schulden herausbekommen kann. Man nimmt stattdessen einzelne Gruppen her, wo man nicht so viel Widerstand erwartet.

derStandard.at: Haben die ÖGB-Frauen eine Minderheitenposition in der SPÖ?

Ruprecht: Die SPÖ-Frauen sind ganz auf unserer Linie, auch viele Teile der SPÖ-Männer.

derStandard.at: ÖVP-Frauensprecherin Schittenhelm will den Frauen einen Anreiz geben, länger zu arbeiten. Jedes Jahr, das eine Frau ab 60 Jahren länger arbeitet, soll 12 Prozent mehr Pension bringen. Was halten Sie davon?

Ruprecht: Wenn jene, die einen Arbeitsplatz haben und gesund sind, länger arbeiten können und es gibt dann noch eine Bonuszahlung, dann habe ich kein Problem damit.

derStandard.at: Die ÖVP-Frauen fordern die Anrechnung der Kinderbetreuungszeiten in der Höhe von vier Jahren, egal in welchem Abstand die Kinder auf die Welt gekommen sind.

Ruprecht: Das ist ein Vorschlag, den man diskutieren kann. Aber was passiert, wenn sie Zwillinge oder Drillinge bekommen? Wenn man vier Jahre zuhause bleibt, bekommt man dann 12 Jahre angerechnet? Ich finde das unsinnig. Ich halte die Regelung, die wir jetzt haben, für sehr gut. Es ist jetzt wichtiger, andere Benachteiligungen aufzuheben. Diese Kindererziehungszeiten sind schon nett, aber das bringt uns Frauen nicht wirklich um so viel weiter.

derStandard.at: In der Resolution argumentieren Sie auch so, dass es mehr Arbeitslosigkeit geben könnte, wenn das Frauenantrittsalter früher angehoben wird. Dreht man Ihr Argument um, dann könnte man sagen: Wir pensionieren die Frauen früher, damit die Arbeitslosigkeit sinkt.

Ruprecht: Das sind unrealistische Geschichten. Mir ist weder das eine noch das andere lieber. Ich hätte gerne, dass die Menschen solange wie möglich in Beschäftigung bleiben, weil sie Arbeit haben und gesund sind. Dann haben wir überhaupt kein Problem mit irgendjemandem. Das Problem haben wir dann, wenn es ab 50 Plus keinen Arbeitsplatz mehr gibt, und nicht mehr eingestellt werde. Das ist der Grund, weswegen wir der früheren Anhebung des Antrittsalters der Frauen nicht zustimmen.

derStandard.at: Es soll also alles bleiben, wie es ist. Wenn Sie sich nicht als Betonierer betrachten, was sind Sie dann?

Ruprecht: Ich will nicht, dass der Status Quo so bleibt, wie er ist. Frauen sollen ein eigenständiges, unabhängiges Leben führen können, Arbeit haben, von der sie nicht nur überleben, leben können.

derStandard.at: Das wollen wir alle. Aber bei dieser Frage betonieren Sie.

Ruprecht: Bevor das, was im Gesetz steht, nicht eingehalten ist, brauchen wir dieses Gesetz nicht vorzeitig verändern.

derStandard.at: Das ist nicht betonieren, sondern ...

Ruprecht: Auf die Einhaltung eines Gesetzes pochen. (Benedikt Narodoslawsky, Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 24.11.2011)