Ludwig Hirsch verzierte seine dunkelgrau getönten Lieder gern mit süßen Geigen. Das machte sie in ihrer Grausamkeit erträglich, populär - und einzigartig. 

 

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Wien - Die Poesie seiner Lieder setzte sich im Leben des Ludwig Hirsch ungebrochen fort. Zumindest wenn er über sein Werk sprach. Blumig formulierte Zärtlichkeiten konterkarierte er in sanftem Tonfall mit grausamer Realität. Dabei lächelte er das unschuldige Lachen des Überbringers einer schlechten Nachricht.

Dieser Kunstgriff durchzieht die Arbeiten des Liedermachers Ludwig Hirsch wie ein schwarzer Faden. Er stieg in menschliche Abgründe hinab und kredenzte die von dort ans Licht gebrachten Grausamkeiten wie süße Punschkrapferln aus der Konditorei: Die Geigen jubilieren, während Der Dorftrottel von einer geifernden Meute erschlagen wird, die sich anschließend vor Gott auf die Knie wirft. Streicher umschmeicheln die Erinnerungen am Grab von der Omama, die zwischen Hitlerbild, Mutterkreuz und vollem Nachttopf ein herzloses Regiment führte - bevor sie an ihren dritten Zähnen erstickte.

Dunkelgraue Lieder sind das, und so nannte der am 28. Februar 1946 im steirischen Bezirk Hartberg geborene Ludwig Hirsch sein 1978 erschienenes Debütalbum. Mit zarten Änderungen in der Schattierung blieb er diesem Genre sein Leben lang treu. Ein Vorbild ließ sich darin zwar festmachen, dennoch war Hirsch mehr als ein heimischer Leonard Cohen: Zwischen Sein und Schein sezierte er mit sattem Timbre Stück um Stück österreichische Wirklichkeiten.

Das hält natürlich niemand aus, nicht einmal der Schöpfer derlei morbider Kleinode. Also finden sich auf seinen über 20 Alben auch leichtfüßige Popnummern ohne versteckte Botschaft. Schattseitig bleibt deren Wesen trotzdem. Selbst ein gut gemeintes Geburtstagsgeschenk ("Schick di doch söwa deiner Freindin in an Packerl") endet fatal.

Zur Musik kam der von Elvis Presley - einem "Bruder im Geiste" - als Teenager wachgeküsste Hirsch allerdings erst später. Der in der Wiener Leopoldstadt aufgewachsene schlacksige Jüngling studierte zuerst Grafik an der Hochschule für angewandte Kunst; 1973 debütierte er in Deutschland als Schauspieler und war ab 1975 vier Jahre lang im Ensemble des Theaters in der Josefstadt. Daneben trat er seit den frühen 1970ern in über zwei dutzend Fernsehproduktionen auf.

Ein stiller Star wurde er jedoch mit seiner Musik. Wohl vom Erfolg des Austropop in den 1970er-Jahren ermutigt, griff Hirsch zur Gitarre und brummte seine Lieder. Er berichtete von alltäglichen Grausamkeiten, von Randexistenzen, die den ganzen Tag hinter vergilbten Gardinen im Espresso am Tschick und einer Melange nuckeln. Er tat das, ohne sich über seine Sujets zu erhöhen. Auf reale Vorbilder griff er dabei nicht zurück, vom Standpunkt eines Schauspielers nähere er sich den Geschichten, schlüpfe in Rollen, aus denen er erzähle, beschrieb Hirsch seine Arbeitsweise.

Der König und der Ludwig

Elvis Presley verdankte er einen seiner größten Hits: Mit der eingedeutschten Version von Love Me (Gel' du magst mi) war er 1983 insgesamt 14 Wochen lang in der heimischen Hitparade. Auch eine Fußnote in Hirschs Karriere besitzt eine Affinität zum King: Beide wurden auf einer Briefmarke verewigt, aber nur Hirsch gelang das bereits zu Lebzeiten.

An Elvis liebte er die Schnulzen, die er als Seufzerbrücken zwischen Herz und Kitsch beschrieb. Solche errichtete er selbst, und sie wurden auch in Deutschland und der Schweiz gehört und verstanden. Dass seine Musik weiter bestand, während viele aus dem Austropop-Fach zur unfreiwilligen Lachnummer verkommen waren, unterstrich seine Originalität.

Dieses Sich-selbst-treu-Bleiben schuf eine Integrität, die sein Publikum an ihm schätzte. Bis zuletzt hing es an seinen Lippen, wenn er mit seinem langjährigen Freund und Gitarristen Johann M. Bertl durch die Lande zog und immer noch Hallen füllte - draußen in der Provinz, in der seine Geschichten oft angesiedelt waren und in der Hirsch einen Bauernhof besaß. Nach einer Lungenkrebsdiagnose hat Ludwig Hirsch nun den Freitod gewählt. Er wurde 65 Jahre alt.  (Karl Fluch  / DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2011)