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Ein repräsentativer, beidseitig beheizter Empfangssalon mit deutlicher Ähnlichkeit zur Burgtheater-Feststiege: "Der ideale Mann" von Elfriede Jelinek nach Oscar Wilde im Akademietheater.

Foto: AP / Lili Strauss

Wien - Die schwersten Missetaten und das garstigste Benehmen kommen dort am besten zur Geltung, wo es besonders schön glänzt. Dafür ruft das Theater seine sinnlichen Fähigkeiten an. Es drückt auf den Bühnenbild-Zauberknopf (Bettina Meyer) und lässt eine schwindelerregend imposante Treppe mit Marmorportalen (aus Karton) in den Schnürboden des Akademietheaters ragen. Realistische Kulissen kommen scheinbar wieder in Mode!

Hier, im Empfangssalon bei Sir Robert Chiltern (die Burg besitzt Ironie genug, diesen der eigenen Feststiege im Ringtheater nachzuempfinden), siedelt Regisseurin Barbara Frey das britische High-Society-Intrigenspiel von Oscar Wilde (An Ideal Husband) an. Elfriede Jelinek hat dieses nun vor österreichischem Polit-Hintergrund neu gedichtet: In Der ideale Mann wird Sir Robert Chiltern (Michael Maertens als Staatssekretär mit KHG-Föhnfrisur) von Lady Cheveley (Caroline Peters als Primadonna der Intrigenkunst) erpresst, da sie Beweise für seinen einst unsauberen Karrierestart in Händen hält.

Sir Chiltern soll die britische Regierung nun dazu bringen, in ein zwielichtiges Projekt zum Bau des sogenannten Hyper-Alpenkanals (!) in Österreich zu investieren. Ähnlichkeiten zu real existierenden österreichischen Politikern und Skandalen sind beabsichtigt (so die Homepage des Theaters).

Und es ist bemerkenswert, wie gut Jelineks Kalauerkunst, die sie mehrheitlich auf unendlich lange Redeschleifen anwendet, in so einer possierlichen, dabei aber reichlich Gift sprühenden und grausamen Komödie aufblüht. Das Boulevardfach liegt der Nobelpreisträgerin sehr. Ihre fallenartig zuschnappende Sprache, in der sich die Bedeutungen der Wörter jeweils noch im Mund verdrehen ("Natürlich zahlt es sich aus. Schließlich bin ich es, der auszahlt"), macht dieser an der Oberfläche ganz klassischen Schwingtür-Inszenierung Feuer. Unter anderem dank Kirsten Dene als Queen-Lookalike und Johann Adam Oest als schottischem Lord.

Charity-Standpauke

Mit dem bösen Spaß dieser Betrugsaffäre entspinnt Barbara Frey auch eine spitze Komödie zwischen Mann und Frau: Rollenbilder vom vernunftgeleiteten Karriere-Mann und der gefühligen Frau werden mit expressiven Dialogen ausgehebelt. Höre beispielsweise einer die Charity-Standpauke von Lady Chiltern (bombig: Katharina Lorenz)! Die von Rechtschaffenheit geradezu überspannte Gattin macht auf markerschütternd souveräne Weise gute Coffeetime-Pose zum bösen Spiel.

Nach einem hochfahrenden ersten Akt, der wohl auch den Schauwerten und dem schillernden Figurenpersonal geschuldet war, verliert die Inszenierung aber an Dynamik. Als Notlösung dienen dann immer wieder in die Handlung integrierte Slapsticknummern, vor allem von Matthias Matschke (als großartig zappeliger Lord Goring), der über Sofalehnen purzelt oder sich - kein Wunder bei dem Redegebot! - in fernöstlicher Atem- und Kampftechnik übt, wenn er seinem Freund Ratschläge erteilen soll. Oder Peter Matic, der als Butler Mason bzw. Phipps die Maske des Domestiken unerwartet fallen lässt und mit voller Absicht die Verachtung gegenüber der herrschenden, von ihm tagein, tagaus bedienten Klasse zum Ausdruck bringt, indem er das Teewasser verschüttet und eine Handvoll Beutel (!) obendrauf wirft. Und alle nehmen es kommentarlos hin! Diese ineinander verschachtelten und momenthaft sich völlig ungeniert dekuvrierenden Scheinwelten sind das Grandiose dieser Komödie. Die Menschen sagen Dinge zueinander, die man einander niemals sagen würde (Maria Happel als heiratswillige Mabel Chiltern). Und aus dem Aufeinanderprallen dieser Scheinzustände bezieht der Abend seine Kraft. Sie trägt allerdings nicht ganz durch.

Doch die Inszenierung ist eine runde Sache. Wenn das Ehepaar zum Schluss wieder zueinander gefunden hat und sich seines erstklassigen Aussehens im Spiegel versichert, ist man wieder bei jener glänzenden Oberfläche angekommen, der kein Untersuchungsausschuss der Welt etwas anhaben kann.  (Margarete Affenzeller  / DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2011)