Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou erwartet einen "Politikwechsel" von Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP): "Seine Spezialität ist leider, sich für unzuständig zu erklären".

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Standard: Alle Winter wieder gibt es eine Feinstaubdebatte, was Ihnen politisch ja entgegenkommen müsste. Dennoch war Ihre Reaktion eher verhalten - warum haben Sie keine Fahrverbote gefordert?

Maria Vassilakou: Fahrverbote sind Akutmaßnahmen, die es auch braucht, weil sie im Moment Linderung schaffen. Aber grundlegend ändert sich dadurch nichts. Wir brauchen dauerhafte Maßnahmen, die bewirken, dass das Pkw-Aufkommen um ein Viertel bis ein Drittel zurückgeht. Die Citymaut findet sich zwar nicht im Regierungsübereinkommen, aber sie ist mit Abstand die wirksamste Maßnahme, um Feinstaub, Ozon und den Klimawandel zu bekämpfen. In den nächsten Jahren ist das Thema leider vom Tisch, weil wir uns mit der SPÖ nicht einigen konnten, aber mittelfristig führt kein Weg an der Citymaut vorbei.

Standard: Die SPÖ noch in dieser Legislaturperiode zu überzeugen halten Sie für ausgeschlossen?

Vassilakou: Ich sehe keine Signale. Das Verhalten Niederösterreichs spielt allerdings eine entscheidende Rolle. Wien ist täglich mit 230.000 Pendlerautos konfrontiert, Tendenz steigend. Wir kommen nicht weiter, wenn Niederösterreich Autobahnen bis an die Stadtgrenze baut, aber für die Öffis kein Geld findet. Das ist für die Region à la longue katastrophal.

Standard: Wie hoch muss die Citymaut sein, um etwas zu bewirken?

Vassilakou: Das müsste man erheben. Nach dem alten grünen Modell hätte die Querung der Stadtgrenze einen Euro gekostet. Aber so ein Schritt lässt sich nicht übers Knie brechen.

Standard: Berlin behauptet, gute Erfahrungen mit der Umweltvignette gemacht zu haben. Ist das eine Möglichkeit für Wien?

Vassilakou: Wenn die Parkgebühren im März 2012 erhöht werden, werden wir rasch wissen, ob sie eine wirksame Feinstaubbekämpfungsmaßnahme sind, so wie erhofft. Wir geben 2012 zudem eine Machbarkeitsstudie zur Einführung von Umweltzonen in Auftrag. Sollten die Parkgebühren nicht den gewünschten Erfolg bringen, können wir innerhalb eines kurzen Zeitraums Umweltzonen einführen, falls erforderlich schon 2013. Da ist aber auch Umweltminister Berlakovich unmittelbar gefordert, der bundesweit die Kriterien für die Differenzierung der KfZ erlassen muss. Seine Spezialität ist aber leider, sich für unzuständig zu erklären. Hier ist ein Politikwechsel nötig.

Standard: Gibt es Fortschritte bei der Ausweitung des Parkpickerls?

Vassilakou: Ja, und ich kann mich nur bedanken bei den Bezirksvorstehern für die Bereitschaft, sich zu bewegen. Das Auto ist ja immer noch die "heilige Kuh" der Österreicher. Maßnahmen die darauf abzielen, dass unnötige Autofahrten unattraktiv werden, erzeugen sehr viel Widerstand. Natürlich haben Politiker wenig Lust, geprügelt zu werden. Aber: Diese Angst vor der Kontroverse hat das Land dorthin geführt, wo wir jetzt stehen: Feinstaub, Ozon, Schlusslicht beim Klimaschutz.

Standard: Welche Bezirke könnten sich fürs Parkpickerl entscheiden?

Vassilakou: Ich möchte nicht spekulieren, die Bezirke entscheiden sich in den nächsten Wochen. Aber auch der Bund, vor allem die ÖVP, muss sich bewegen. Wenn man sich jetzt auf Kosmetik beschränkt, wird sich das im nächsten Jahrzehnt bitterböse rächen.

Standard: Was soll man tun?

Vassilakou: In neue Umwelttechnologien und Sanierung investieren - nicht Sparpakete schnüren, bei denen vor allem die Investitionsbremse übrigbleibt. Und jeder von uns ist gefordert, sich nicht gedankenlos hinters Steuer zu setzen oder das Licht abzudrehen, wenn man einen Raum verlässt.

Standard: Die Opposition kritisiert, dass die rot-grüne Handschrift teuer sei: Welche Gebührenerhöhungen kommen noch?

Vassilakou: Wenn man über viele Jahre hinweg notwendige Preisanpassungen hinausschiebt, verpasst man wohl den goldenen Zeitpunkt. Politik darf sich nicht davor scheuen, vor den Bürgern in aller Transparenz zu argumentieren, warum Gebührenerhöhungen notwendig sind. Wir müssen das Leistungsniveau sicherstellen. Und wir haben enorme Kostensteigerungen im Sozialbereich.

Standard: Die Devise in Wien lautet also: Abgabenerhöhungen statt Schuldenbremse?

Vassilakou: Nein, wie kommen Sie darauf? Wir sparen hart, unter anderem durch die Gesundheitsreform oder Kosteneffizienz im Straßenbau. Ich warne aber entschieden vor einer Schuldenbremse, wie sie im Bund diskutiert wird. Das ist Sparen mit dem Rasenmäher, das würde die Länder ungeheuer unter Druck bringen.

Standard: Inwiefern?

Vassilakou: Einerseits würden alle Schulden der Bundesländer in einen Topf geworfen. Wien würde für die katastrophale Budgetpolitik Kärntens oder Niederösterreichs zur Kasse gebeten. Das sehe ich nicht ein. Zudem würde auch das Vermögen zur Schuldenbremse herangezogen, da würde ein enormer Privatisierungsdruck entstehen. Ich werde sicher nicht zulassen, dass die Müllverbrennungsanlagen, die Wiener Linien, die Energieversorgung oder sonstige Vermögenswerte der Stadt herangezogen werden. Es ist ein wesentlicher Lebensqualitätsvorteil, dass all das in kommunaler Hand ist. Der Bürgermeister und ich werden alles tun, damit das so bleibt. Wien wird Sturm laufen gegen Schuldenbremse-Pläne. (Andrea Heigl, Petra Stuiber, DER STANDARD-Printausgabe, 25.11.2011)