Es ist erstaunlich, für welche Lappalie manche ÖVPler eine Zerreißprobe riskieren. Todesmutig kämpft der schwarze Arbeitnehmerflügel für eine Solidarabgabe und damit gegen den Wirtschaftsbund in der eigenen Partei. Deshalb müssen nun 0,03 Prozent der Einkommensbezieher bangen: Wer mehr als 500.000 Euro im Jahr verdient, soll einen befristeten Steuerzuschlag zahlen.

Bringen wird der Obolus nicht einmal ein halbes Prozent des gesamten Betrages, den die Regierung über die kommenden Jahre braucht, um ihre ehrgeizigen Budgetziele zu erreichen. Jeder Euro zählt, doch für diesen, Pardon, Fliegenschiss lohnt der Aufwand wirklich kaum noch. Mehr als ein Placebo für Funktionäre, die nicht als Anwälte der Reichen dastehen wollen, ist diese Solidarabgabe nicht.

Um Gewissensberuhigung geht es aber nicht, sondern um eine sozial ausgewogene Budgetsanierung. Dieses Ziel wird ein reines Sparpaket nicht erreichen, weil dabei überwiegend jene draufzahlen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Verwaltungsreform schön und gut; braucht die Regierung aber schnelles Geld, wird ein einseitiger Sparkurs zu einem Gutteil auf harten Sozialabbau hinauslaufen. Deshalb wäre auch ein Verbot von Steuererhöhungen, wie es das BZÖ als Bedingung für ein Ja zur Schuldenbremse fordert, schädlich - von der politischen Selbstverstümmelung ganz abgesehen: Ein Finanzminister gliche einem Klavierspieler, der auf eine Hand verzichtet.

Schlägt SPÖ-Chef Werner Faymann in diesen Deal ein oder lässt er sich auch nur seine "Millionärssteuer" durch das schwarze Solidarbeitragerl abkaufen, werden ihn die eigenen Genossen wie weiland Alfred Gusenbauer mit dem nassen Fetzen davonjagen. Will die Koalition eine Einigung zustande bringen, wird die ÖVP also nennenswerte Steuererhöhungen akzeptieren müssen. Die Alternative - Neuwahlen - kann sich die Kanzlerpartei nicht wünschen, schon gar nicht aber der Juniorpartner: Selbst schwarze Funktionäre räumen ein, dass die eigenen Wähler weit weniger gegen "Reichensteuern" hätten als der Mainstream "ihrer" Partei.

Die ökonomischen Umstände würden der ÖVP das Entgegenkommen erleichtern, nicht nur, weil Steuern raschen Ertrag versprechen. Die Experten vom Wirtschaftsforschungsinstitut halten vermögensbezogene Steuern für eine Einnahmequelle, die das Wirtschaftswachstum nur wenig dämpfen würde - am Vorabend einer drohenden Rezession ein entscheidender Aspekt. Angesichts der hohen Konzentration von Eigentum auf eine Oberschicht würden jene zahlen, die einen Beitrag verkraften können.

Wäre das der Sündenfall der ÖVP? Unsinn. Koalitionäre Politik bedeutet nun einmal Kompromiss, weshalb es unfair ist, die Regierungsparteien ausschließlich an einzelnen Fahnenfragen zu messen. Was zählt, ist das Gesamtpaket - und dabei kann die ÖVP ja nicht minder sinnvolle "Strukturreformen" durchkämpfen und die Sozialdemokraten, die etwa bei den Frühpensionen traditionell oft auf der Bremse stehen, zu mehr Bewegung zwingen. Der reflexartige Fingerzeig auf vermeintliche "Umfaller" ruiniert letztlich jede sachliche Debatte, weil er Politiker dazu animiert, sich vorsorglich nur mehr auf den Justamentstandpunkt zurückzuziehen. Kommen SPÖ und ÖVP bei der Budgetsanierung einander entgegen, sind sie keine Schwächlinge, sondern schlicht und einfach regierungsfähig.

(DER STANDARD; Printausgabe, 25.11.2011)