Beobachtet einen weltweit stark steigenden Energiebedarf: IEA-Ökonom Fatih Birol.

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Standard: Die Internationale Energieagentur sieht weiterhin eine starke Rolle der fossilen Energien in der Zukunft. Sind das nicht schlechte Aussichten im Kampf gegen den Klimawandel?

Birol: Natürlich ist das ein gefährlicher Weg. Allein über bereits bestehende Strukturen - Fabriken, Kraftwerke, etc. - werden im Jahr 2035 rund 80 Prozent der erlaubten CO2-Emissionen freigesetzt. 80 Prozent von dem, was maximal emittiert werden darf, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad Plus zu begrenzen ist dann schon vergeben. Das heißt, der Gestaltungsspielraum ist sehr schmal. Fabriken und Kraftwerke haben eben eine sehr lange Lebensdauer, das sollte man bei der Investitionsentscheidung berücksichtigen. Regierungen sollten Subventionen für fossile Energien streichen und Energieeffizienz vorantreiben.

Standard: Sind Sie im Kampf gegen den Klimawandel optimistisch oder pessimistisch?

Birol: Wenn ich höre, was die Regierungen sagen, bin ich hoffnungsvoll. Aber ich mache mir die Hände schmutzig, indem ich tief in die Datenlage hineingreife. Und die Fakten, die ich sehe, stimmen oft nicht optimistisch. Was ich sehe, macht mich häufig besorgt.

Standard: Ein Beispiel?

Birol: Derzeit haben 1,2 Milliarden Menschen keinen Strom. Es ist eine Schande, wenn man das Medikament für sein Kind nicht in einem Eisschrank aufheben kann. Keinen Zugang zu Elektrizität zu haben, das ist ungerecht.

Standard: Bei Energieknappheit wird von "unkonventionellem Erdgas" als Ausweg gesprochen. Die Energieagentur spricht gar von einem "goldenen Zeitalter des Erdgases". Ist dieses Gas ein Glücksfall? Selbst im nördlichen Niederösterreich soll es Vorkommen geben.

Birol: Die Sache hat zwei Seiten. Die Vorkommen von unkonventionellem Gas sind geografisch stärker diversifiziert als konventionelle Vorkommen. Das hat positive Auswirkungen auf die Gasversorgungssicherheit. Aber die Förderung benötigt viel Energie, Chemikalien und extrem viel Wasser. Widerstände gegen eine Ausbeutung sind nicht geschürt von einer "grünen Lobby", wie die Firmen gerne sagen. Wenn es zu einem "goldenen Zeitalter" bei Gas kommt, muss es auch "goldene Standards" für die Förderung geben - und da ist technologisch noch viel heraus zu holen. Nur: Beim Hinweis auf die geringeren CO2-Emissionen von Gas im Vergleich zu Kohle oder Erdöl - gänzlich unschuldig ist Erdgas nicht.

Standard: Sie bzw. Ihre Agentur meinen, dass die vielen Probleme - Klimawandel, Energiesicherheit, wachsende Weltbevölkerung und Versorgung aller mit Elektrizität - nur gelingt mit kritisch gesehenen Technologien wie Carbon Capture Storage (CCS) und Nuklear-Energie. Warum?

Birol: CCS ist mit der anhaltend starken Nutzung von Kohle zu sehen. Niemand spricht über Kohle, bei keinem internationalen Treffen kommt sie vor. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die Nutzung ist stark gestiegen und Kohle bleibt bis 2035 die größte Grundlage zur Elektrizitätserzeugung. Da Kohle die höchste CO2-Intensität aller fossilen Energiequellen hat, gehört die Frage, wie es da weitergeht, zu den wichtigsten energiepolitischen Fragen. Die Auswirkungen auf das globale Klima sind gewaltig. Ein starker Ausbau von CO2-Abtrennung und Speicherung bei der Stromerzeugung würde die Aussichten für die Kohlewirtschaft verbessern.

Standard: Und Nuklearenergie?

Birol: Es ist unsere Aufgaben, auf die weitreichenden Konsequenzen hin zu weisen, die eine Abkehr von der Kernenergie mit sich bringt. Mit einem Abschalten der Reaktoren hat man einmal weniger Eier in Energie-Körbchen, und das ist schlecht. Es erhöht die Importrechnung für Energie und verringert die Energiesicherheit. Und schließlich führt weniger Atomkraft zu mehr CO2-Emissionen, weil die Alternativenergien nicht so viel auffangen können.

Standard: Österreich hat sowohl Atomkraft als auch CCS gesetzlich verboten. Ist das vorbildhaft oder nur eine Vogel-Strauß-Politik?

Birol: Österreich ist ein kleines Land und macht, was Energieeffizienz betrifft, keinen schlechten Job - verglichen mit vielen anderen Staaten. Vorbildhaft ist auch die Wasserkraft und was das naturnahes Bauen bei der Wasserkraft betrifft. Da könnte Österreich Know-how exportieren. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 25.11.2011)