Erni Mangold

Foto: Standard/Regine Hendrich

Schauspielerin Erni Mangold hat mit Qualtinger auf Wiens Ruinen getanzt und neben einem Rolling Stone geschlafen. Warum Theater nicht ihr Leben ist und sie dereinst ein Diamant sein wird, erfragte Renate Graber.

STANDARD: Tragen Sie da auf Ihrer Kette Ihren zerquetschten Ehering?

Mangold: Ja. Ich hab den Ring gut getroffen. Ist gar nicht so leicht: Der Juwelier erhitzt den Ring, legt ihn in eine Form, und im richtigen Moment drückt man mit einer Presse drauf. Da kann schon auch eine Golatsch'n rauskommen.

STANDARD: Könnte ich auch machen mit meinem Ex-Ehering.

Fotografin: Ich auch.

Mangold: Na geh, seid's doch nicht so gierig. Mein Ehering war so groß, dass er mich gestört hat; ich hab ihn nur einen Tag getragen.

STANDARD: Dabei waren Sie 17 Jahre mit Heinz Reincke verheiratet. Ich will über Liebe, Theater und das Leben mit Ihnen reden. Sie spielen seit 1946; haben 127 Rollen am Theater, 120 im Film gespielt...

Mangold: Irre.

STANDARD: Sie waren bei Gustav Gründgens in Hamburg. Über ihn sagten Sie, Leben und Spielen seien für ihn eins. Für Sie auch?

Mangold: Um Gottes willen, das wäre ja ganz grauenhaft. Ich lebe wahnsinnig gern neben meinem Beruf. Das Theater ist nicht mein Leben, sondern meine Arbeit. Ist die Schreiberei Ihr Leben?

STANDARD: Nein, ich gebe ihr aber viel Platz. Gründgens, der in der NS-Zeit und danach Karriere machte, hat Sie fasziniert. Warum?

Mangold: Wegen seiner Geschichte. Mich hat sein Hupfer von der NS-Zeit auf die andere Seite so interessiert. Als wir einmal durchs Guckloch im Vorhang in den Zuschauerraum lugten, sagte er: "Schau, Erni, alle da. Wie früher." Da waren der Kanzler, der Präsident und Minister. Viel Zirkus um sich herum, das mochte er.

STANDARD: Sie mögen das nicht so?

Mangold: Nein. Wo ich nicht dabei sein muss, da bin ich nicht. Aufläufe interessieren mich nicht.

STANDARD: Aber dass Sie mit 80 Ihre eigene Prof.-Erni-Mangold-Straße bekamen, daheim in St. Leonhard, das hat Sie dann doch gefreut.

Mangold: Das war meine allergrößte Freude. Dass ich das nicht posthum bekommen habe.

STANDARD: Wer ist eigentlich der echte Friedrich Mangold aus St. Leonhard?

Mangold: Der Förster. Seine Familie dachte, ich müsste mit ihr verwandt sein. Aber sie sind ja wirklich Mangolds.

STANDARD: Unterschreiben Sie eigentlich mit Ihrem Künstlernamen oder Ihrem echten
Familiennamen, Goldmann?

Mangold: Mit Mangold natürlich. Goldmann heiße ich nur, wenn ich festgenommen werde, krank bin oder Steuern zahle.

STANDARD: Apropos Steuern. Besitz, sagen Sie seit Ihrer Jugend, in der Sie mit Helmut Qualtinger durch Wien zogen, sei Ihnen überhaupt nicht wichtig.

Mangold: Null. Mein ein und alles ist mein kleines Haus im Waldviertel, da fühl ich mich sauwohl. Alles andere bindet nur. Wir habenuns als junge Leute gesagt: Um Gottes willen, nur nie etwas besitzen – weil im Krieg hatten die Leute solche Angst, alles zu verlieren. Meine Mutter hat in den Rucksack für den Luftschutzkeller sogar einen Kochlöffel eingepackt. Das fand ich sehr komisch.

STANDARD: Qualtinger hatte später zumindest ein Grundstück, wiewohl ohne Haus drauf, nur ein Schwimmbecken...

Mangold: Ja, im Burgenland, in der Nähe von einem Gasthaus. Wie mein Haus.

STANDARD: Noch einmal zurück zu Gründgens. Er hatte so hässliche Hände, erzählen Sie?

Mangold: Nicht ich erzähle das, er fand sie so hässlich, er hatte zu dicke Finger. Daher hat er sie sich operieren lassen. Er war eitel bis zum Geht-nicht-mehr. Als uns sein Theaterfriseur erzählte: „Ich weiß nicht, ich habe noch nie gesehen, dass einer am Hals Narben hat" wussten wir: Gründgens hat sich liften lassen. Und Curd Jürgens ließ sich die Augen machen.

STANDARD: Und O.W. Fischer hatte ein Bild von sich am Nachtkastl.

Mangold: Und was für eins. Das war so breit wie das ganze Nachtkastl. Der OW war so was von einem ein altmodischen Narzissten. Heute sind die Herren anders narzisstisch, nicht mehr diese Spiegelbild-Narzissten.

STANDARD: Wie anders sind sie denn?

Mangold: Die Herren sind heute von einer Männlichkeit beseelt, die sie noch nicht ganz haben. Da ist so ein Gesuche nach Macht und Ich-Bestätigung, ausgezeichnet von Überheblichkeit. Sie wollen für sich selbst in allen Bereichen Recht haben und Nummer Eins sein – und das ist ein bisserl schwierig.

STANDARD:Ihr erster langjähriger Freund, der spätere Magnum-Fotograf Ernst Haas, war Ihnen fast zu schön...

Mangold: Der Ernstl war auch ein Narzisst, das hat auch der Helmut Qualtinger gesagt. Der Ernst war der David (von Michelangelo; Anm.) und hat auch so ausgesehen (holt ihre Brieftasche und zeigt ein Foto). Er war schon sehr fesch. Er hatte eine Mutter gehabt, die wurde über 90, und sie hat immer so gesprochen: "Earna koooomm! Geeeeh bitte, Earnstl kämm diiiir die Haaaar", und er lag immer auf dem Sofa, der Ernstl, und die Mama hat immer gesagt: "Earnstl, du musst was machen!" Und er sagte: "Aber ich arbeite doch.", und sie sagte "Ja, was aaarbeitest du?" und er sagte: "Na, ich denke."

STANDARD: Er wollte, dass Sie mit ihm nach Amerika kommen. Sie hatten aber schon Engagements an der Josefstadt und blieben in Wien. Sie sagen immer, Sie wären schon ...

Mangold: ... da wäre ich schon tot. Weil ich wäre in Amerika versandelt, umgekommen an der Ausbeutung. Alle Emigranten, die aus Amerika zurückkamen, haben mir gesagt; "Erni, bitte fahr nach Amerika, du bist der Typ dieser Zeit" – was ich auch gewesen bin – „Du machst dort Karriere". Und ich habe nur gesagt, "Ja, die sollen mich mal."

STANDARD: Und Sie hatten wirklich nie ein Faible für schöne Männer? Und Sie haben wirklich Karajan versetzt?

Mangold: Stimmt, und ich fand auch den OW nicht schön. Als sich in Wien herum sprach, dass ich mit Reincke zusammen bin, sagte man: Da hat sie so viele Schöne ausgeschlagen und dann nimmt sie sich einen Schiarchen. Da hab ich sehr gelacht. Zu mager hab ich ihn gefunden, aber nicht zu hässlich.

STANDARD: Als Mädchen wollten Sie ja Bäuerin werden. Weil Sie mütterlicherseits von hugenottischen Großbauern abstammen und den Dialekt so liebten?

Mangold: Als Kind wollte ich das. Heute würde mich Computertechnik interessieren, etwas Cooles. Vielleicht wäre ich leidenschaftlicher Hacker geworden.

STANDARD: Der "Falter" nannte Sie jüngst eine "ziemlich coole Alte".

Mangold: Was er darunter versteht, weiß ich nicht. Aber ich bin eine ziemlich harte Alte. Nämlich nicht sehr schmerzempfindlich und sehr hart im Nehmen.

STANDARD: Vielleicht weil Sie zu früh und auf dem Wirtshaustisch Ihrer Großeltern zur Welt kamen.

Mangold: Ich weiß nicht, ob es damit zu hat. Ich wuchs im Krieg auf, da wurde ich nicht mit Samthandschuhen angefasst. Aber eigentlich hab ich es gemocht, dass es nicht so vornehm, fein und behutsam zuging, das hat mir schon gepasst.

STANDARD: Apropos Hackerin: Nach dem Krieg wollte Polen Sie als Spionin engagieren?

Mangold: (lacht) Ja, weil ich hübsch war, so Mata-Hari-mäßig haben die gedacht. Es war schon eine Gefahr, bei der Spionage zu landen, und ein großer Reiz. Heute wissen wir, wie viele damals Spionage betrieben haben, Politiker....

STANDARD: ... wie Helmut Zilk...

Mangold: ... und viele andere. Und wegen der Hugenotten, das sagte meine Mutter immer. Aber jetzt hat mit jemand bei einer Buchpräsentation ein Heftchen mit meinem Stammbaum überreicht. Der Mann hat in meiner Familie mütterlicherseits zwölf Generationen zurück geforscht, das sind immerhin 300 Jahre, und ich sage Ihnen: nichts. Nichts, kein Hugenotte weit und breit. Ich bin enttäuscht.

STANDARD: Sie sagen, dass man im Alter mehr mit sich selbst als mit den anderen in Konflikt tritt. Man wird selbstkritischer, geduldiger?

Mangold: Mir gelingt das eh nicht immer. Sagt jemand "Ich habe ein Frage", sag ich sofort: "Eine dumme Frage". Und dann denk ich: "Herrgott, nimm dich doch ein bisserl zusammen." Ich bin aber nicht nachtragend – und hoffe, die anderen sind es auch nicht.

STANDARD: Darum leben Sie im Waldviertel, da ist man hart.

Mangold: Das ist sehr angenehm, im Waldviertel sind sie gar nicht empfindlich. Da komm‘ ich in die Wirtsstube und wenn wer Unsinn redet, frag' ich: "Was redstn scho wieda für an Quatsch, Du Trottel?" Da lachen sie sich tot, sagen nur: "Die Erni ist wieder da." Es ist okay. Es ist Waldviertlerisch, es ist holzig, es ist brutal, es ist urgesteinig.

STANDARD: Wiener können dagegen schleimig sein, und Sie haben das Schleimige immer gehasst. Hat Sie da die Nachkriegszeit, in der Sie mit Qualtinger in Wien unterwegs waren, so geprägt?

Mangold: Das Schleimige hasse ich immer noch. Damals waren wir zynisch und frech, ich nahm mir nie ein Blatt vor den Mund. Wir fanden Sentimentalität, diese Barockengel-Anbetung der Nachkriegszeit zum Kotzen. Das Nicht-Sentimentale ist mir geblieben, ich bin ein sehr reales Geschöpf.

STANDARD: Haben Sie Qualtinger eigentlich geliebt?

Mangold: Ja. Ich hab ihn nicht nur geliebt, es hatte noch was anderes. Da war endlich ein Mensch, der dieselbe Sprache sprach, endlich ein Mensch, der ähnlich dachte wie ich, endlich ein Mensch, von dem ich auch profitieren konnte, von dem ich nach dem Krieg von Dingen und Büchern erfuhr, von denen ich nichts gewusst hatte.

STANDARD: Sie waren nie ein Paar. Das hätte nicht geklappt?

Mangold: Was hätte da klappen sollen? Ich war 18 und er 16, als wir uns kennengelernt haben. Aber um das ging es ja gar nicht.

STANDARD: Es ging darum, auf Wiens Kriegsruinen zu tanzen?

Mangold: Wir haben auf Wiens Ruinen getanzt, geschmust, gelesen – und das Wichtigste: geredet, geredet, geredet, geredet.

STANDARD: Qualtinger wollte Sie später ins Kabarett holen...

Mangold: Aber da war ich schon mit einem Fuß in Hamburg.

STANDARD: Die Hamburger meinten, als Sie im "Schwierigen" spielten: „Es war gut, aber es wäre schön, wenn Mangold Wienerisch sprechen könnte." Eine Niederlage für eine Qualtinger-Begleiterin?

Mangold: Es ist halt so. Ich kann gar nicht Wienerisch, hab diesen Bauerndialekt in mir. Außerdem finde ich, dass Helmut eine Wienerische Kunstsprache entwickelt hat, sein Wienerisch war ein besonderer Dialekt.
STANDARD: Mögen Sie das Wienerische überhaupt?

Mangold: Kommt drauf an, das Hietzingerisch mag ich nicht. Das ist wie in Hamburg: Da gibt es das Plattdütsch (Niederdeutsch; Anm.) und das Missingsch (Hochdeutsch; Anm.), das hat ein bisschen was vom Wienerischen. Damit sagen die Hamburger (näselt) , "Wir kommen aus einer besseren Ecke". Missingsch ist eine lustige Sprache, hat verschmierte plattdütsche Elemente in sich. In Wien, und das war schön, konnte man früher sogar am Dialekt erkennen, wer aus dem zweiten und wer aus dem dritten Bezirk kommt. Das ist heute nicht mehr der Fall, leider.

STANDARD: Sie durften in Wien einst sogar ins Café Gutruf, da waren Künstler, Politiker, Journalisten sehr unter sich. Ehefrauen waren gar nicht zugelassen und überhuapt durften nur sehr wenige Frauen hinein.

Mangold: Ich war die einzige, vielleicht weil ich unter Qualtingers Obhut stand. Das Gutruf war ein ziemlicher Macho-Verein, alle passten sich an, alle sprachen diese Qualtinger-Sprache. Wir waren damals auf Angriff und Untergriffe aus, es gab immer kleine verbale Fechtakte. Je origineller man dort war, desto besser.

STANDARD: Gutruf-Besitzer Hannes Hoffmann diente ja als Vorbild für Qualtingers Herrn Karl.

Mangold: Nein, nein, nein. Der Hoffmann als alleinige Leitfigur für den Herrn Karl wäre zu wenig gewesen. Qualtinger hat viel mehr in den Herrn Karl verpackt. Und der war auch nicht der personifizierte Österreicher, nicht alle Österreicher waren so. Der Herr Karl ist Österreich: Qualtinger hat mit diesem Typen Österreich getroffen, und er wollte mit ihm Österreich treffen.

STANDARD: Als Sie damals bei den Dreharbeiten am Rosenhügel dabei waren, sagten Sie Qualtinger voraus, dass er mit dem Herrn Karl unsterblich wird?

Mangold: Ja. Später, als ich aber keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, soll er unter dem Image gelitten haben, er blieb halt immer der Herr Karl. Das wollt er loswerden, aber das ist ihm nicht geglückt. Das ist eben so beim Schauspielen, da kannst nix machen.

STANDARD: Andere Unsterbliche haben Sie nicht einmal erkannt. Da fuhren Sie einst im Schlafwagen durch Deutschland, in einem Zug mit den Rolling Stones. Direkt neben Ihnen: einer der Stones. Und Sie schliefen.

Mangold: Ich schwör‘ Ihnen, ich weiß nicht einmal, welcher es war. Das war wie eine Erscheinung: Ich lieg' im Bett, da kommt einer von denen rein und setzt sich hin. Er schaut mich an. Ich schau ihn an. Und es hat sich nichts sonst abgespielt. Da bin ich wieder eingeschlafen. Er war sicher stoned, die Stones haben sicher Drogen genommen.

STANDARD: Noch zum Gutruf, dort verkehrte auch Udo Proksch. Wieso reden Sie über ihn gar nicht?

Mangold: Ich hab ihn nicht gemocht. Im Gutruf stellte er sich einmal neben mich an die Bar und legte seine Waffe auf die Budel. Da hab ich ihm gesagt: "Du, wenn du die Waffe nicht wegtust, hau ich sie dir auf den Schädel. Ich steh' nicht neben einer Waffe." Das war dem Herrn natürlich zu viel. Ich habe Proksch dann auf eine merkwürdige Weise kennen gelernt, beziehungsweise eben nicht kennen gelernt. Das war schon zu Zeiten seines Club 45. Bürgermeister Leopold Gratz ging hin, mein Mein Mann auch, er war ja mit Gratz befreundet, beide tranken gern. Ich ging nicht in den Club, Kreisky übrigens auch nicht. Mein Mann wollte mich immer überreden doch hin zu gehen, an einem Freitag, weil da durften auch Frauen rein. Da sagte ich: "Du kannst mich gern haben. Wenn ich nicht immer hingehen kann, gehe ich schon gar nicht hin." Aber ein ehemaliger Freund von mir war der Pförtner dort, und ihn habe ich einmal überredet, mir den Club zu zeigen. Ich fand ihn grauenhaft, wie ein Puff, alles abgeschmuddelt. Dann war ich eine Kanaille und trug mich ins Gästebuch ein: "Leckt's mich am Arsch" abgekürzt, und meinen Namen drunter. Proksch hat weiterhin nicht mir geredet und den Pförtner entlassen.

STANDARD: Andere Frauen flogen auf Proksch, Erika Pluhar war mit ihm verheiratet.

Mangold: Ich mochte diese napoleonische Kotze nicht und diese Angeberei und Selbstherrlichkeit.

STANDARD: Sie haben vorhin Bundeskanzler Bruno Kreisky erwähnt – ihn haben Sie sehr gemocht. Warum?

Mangold: Ich fand ihn sehr gescheit, sehr lustig und humorvoll. Er hat auch die Kultur geschätzt...

STANDARD: ...besonders Schauspielerinnen...

Mangold: ... aber auch die Männer haben ihn geschätzt, und die Künstler haben ihm ja überhaupt auch einen guten Ruf gebracht.

STANDARD: Per Wahlwerbung.

Mangold: Genau.

STANDARD: Der "Kurier" schrieb vor einigen Jahren, Sie würden eine „Wiener Legende" werden. Möchten Sie das?

Mangold: Wie eine alte, trockene Schlange, in einem Glasl im Museum ausgestellt? Furchtbar.

STANDARD: Was bleibt von Ihnen?

Mangold: Na gar nix. Weg ist weg. Das find ich sehr angenehm. Wenn ich tot bin, ists aus. Heut' is heut, morg'n is morg'n – und auf Wiederschaun.

STANDARD: Sie haben aber einmal gesagt, Sie würden als Hainbuche wieder auf die Welt kommen.

Mangold: Ja, irgendwelche Energien werden schon überbleiben. Ein bisserl mystisch bin ich schon, das sind alle Frauen. Das kann man ausspielen und sich daran erfreuen. Jedenfalls glaube ich, dass ein Stein, eine Blume, ein Baum spricht. Und so eine Hoabuachene, wie die Waldviertler sagen, das ist schon ein ziemlich hartes Gewächs, ziemlich hart.

STANDARD: Aber mit einer so genannten Herzwurzel ausgestattet.

Mangold: Ja, das ist das Lustige daran.

STANDARD: Worum geht's eigentlich beim Theaterspielen?

Mangold: Fragen Sie mich was Leichteres.

STANDARD: Sie machen das seit 46 Jahren. Sie wollen das Publikum wegblasen, haben Sie einmal erklärt.

Mangold: Ja, ich habs gern, wenn ich dem Publikum eine Figur zur Verfügung stelle, und sage: Schaut's euch das an, freut's euch daran, oder freut's euch nicht. Ich versuche, meine Kraft darauf zu verwenden, dass die Menschen etwas mit einem Stück anfangen können.

STANDARD: Und Theaterspielen putzt die Innereien aus?

Mangold: Ja, so habe ich das einmal beschrieben, und es ist schon so. Man geht mit Kopfweh hin, mit Belastungen, die unüberwindbar scheinen – und dann tritt man auf die Bühne, spielt – und danach ist alles wie weggeblasen. Da ist es gar nicht wichtig, was man spielt, es muss gar nicht der König Lear sein. Es ist das Publikum, die Luft, die Energie, der Kreislauf: Da wird alles hochgestemmt und danach hat man sich reingewaschen. Das Theaterspielen relativiert sehr viel – beim Turnen ist das ähnlich. Da spürst du auf einmal deine Muskeln, und vergisst all die merkwürdigen, seelischen Krümel und Verkrümmungen.

STANDARD: Außer man wird ausgebuht, oder?

Mangold: Ich selbst bin nie ausgebuht worden, wohl aber die Regie, das Stück. Aber das gehört zum Theater dazu. Ich finde Buhrufe nicht so furchtbar. Ich hab als Jugendliche in der Staatsoper gebuht wie eine Wahnsinnige. Wir haben die Inszenierung, den Dirigenten, die Sänger ausgebuht – schrecklich. Damals, unterm Hitler, ist man ja fast verhaftet worden, wenn man das tat.

STANDARD: Sie selbst wollen durchs Theaterspielen also nicht unsterblich werden?

Mangold: Aber ich bitt' Sie, nein, durch was denn?

STANDARD: Durch Erinnerung?

Mangold: Stell ich mir so vor: "Kannst du dich noch erinnern? An die Mangold?" „Kenn ich nicht, keine Ahnung."

STANDARD: Wenn Sie tot sind, werden Sie ein Diamant?

Mangold: Die Tochter meines Cousins bekommt einen kleinen Diamanten aus meiner Asche. Der Rest wird im Garten begraben.

STANDARD: Ihren Grabstein haben Sie ja schon, der stammt aus der Speisekammer Ihrer Nachbarn.

Mangold: Ja, den Stein hatten sie als Stütze in der Speis, und er ist umgefallen. Da prangt jetzt schon wunderschön „Erni Mangold" drauf, und er steht schon am Friedhof in St. Leonhard. Da werden's dann alle traurig sein: Weil dort werd' ich nicht liegen.

STANDARD: Weil Sie sich im Mühlviertel neben Hans Gratzer, Ihrem alten Freund und Gründer des Wiener Schauspielhauses, begraben lassen?

Mangold: Nein, ich will doch nichts ins Mühlviertel. Ich bleib' in meinem Garten.

STANDARD: Gründgens sagte: "Haben Sie keine Angst vor Perfektionismus, Sie sind es nicht." Perfekt kann doch nur sein, was vorbei ist?

Mangold: Ich finde Perfektion sowieso schrecklich. Immer einer Perfektion nachjagen, dass alles genau stimmt, das ist eigentlich der Tod. Die Schauspieler haben das Gefühl, alles müsse stimmen, aber das ist schlecht. Es muss gar nichts immer stimmen.

STANDARD: Bringt mich zur letzten Frage: Worum geht's im Leben?

Mangold: Darum, zur Einsicht zu kommen: Das Leben ist gut Ohne Punkt hinter dem Satz. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26./27.11.2011)