Im Falle der rheumatoiden Arthritis sind die Heilungschancen mittlerweile bei Neupatienten relativ hoch.

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Lange galt Rheuma als eine Krankheit, an der vor allem ältere Menschen leiden. Verkrüppelte Hände stehen dafür als Sinnbild. Sie entsprechen längst nicht mehr der Realität, meint Ludwig Erlacher, Vorstand der 2. Medizinischen Abteilung des Kaiser-Franz-Josef-Spitals. Rund zwei Millionen Österreicher sind im Laufe ihres Lebens von einer rheumatischen Krankheit betroffen. Die meisten Neuerkrankungen gibt es bei Frauen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren, bei Männern zwischen 65 und 75 Jahren. Erlacher sieht jedoch den Trend, dass die Krankheit auch bei immer jüngeren Erwachsenen diagnostiziert wird. "Sie stehen oft mitten im Leben, sind dynamisch und häufig auch sportlich aktiv", erklärt der Rheumatologe.

Zwar ist die Ursache von Rheuma bis dato noch nicht erforscht, aber bei Diagnose und Behandlung gibt es immer wieder Fortschritte. Der Begriff Rheuma umschreibt mehr als 400 Erkrankungen, die sich in Form von länger anhaltenden Schmerzen und Funktionsstörungen am Bewegungsapparat äußern. Die häufigste - entzündliche - Form ist die rheumatoide Arthritis, bei der sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet und die Gelenke angreift.

Dass es einen rasanten Anstieg von Erkrankungen bei jüngeren Altersgruppen gibt, könne man aber so nicht sagen, sagt Erlacher. Sondern: Man widme dem Thema höhere Aufmerksamkeit, was eben auch mehr Fälle ans Licht bringt. "Dennoch gibt es einen erschreckenden Informationsmangel. Wir wissen zum Beispiel, dass jeder zweite Rheumatiker mit seinen Beschwerden noch niemals beim Arzt war" - was angesichts der guten Heilungschancen bei rechtzeitiger Diagnose und rascher Therapie umso tragischer sei.

Bei der rheumatoiden Arthritis kommt es insbesondere darauf an, dass die Diagnose so schnell wie möglich nach Auftreten der ersten Symptome gestellt wird. Denn: Einmal aufgetretene Gelenkschäden sind nicht mehr reparabel, deswegen sollte mit der Behandlung sofort begonnen werden. Es gibt mehrere Hypothesen, wie die Krankheit entsteht. Noch nicht eindeutig bewiesen - aber möglich - ist, dass Infektionen für einen Ausbruch verantwortlich sind. Jedenfalls spielen genetische Faktoren und Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle für den Krankheitsverlauf und das Ausmaß der Entzündungen. Die Diagnose ist oft schwierig, weil manche Symptome auch durch anderweitig hervorgerufene Gelenkabnützungen auftreten können.

Breites Spektrum

Manfred Herold, Rheumatologe an der Universitätsklinik Innsbruck, weist auf die Schwierigkeit mit dem mehrdeutigen Begriff Rheuma hin. Bei manchen Erkrankungen würde eine relativ banale Behandlung reichen, "manchmal schon die Verabreichung von Aspirin. In anderen Fällen ist der Patient nach drei Tagen tot." Daher sei es besonders wichtig, die verschiedenen Krankheiten voneinander zu trennen, um rechtzeitig mit der richtigen Therapie beginnen zu können. Im Falle der rheumatoiden Arthritis sind die Heilungschancen mittlerweile relativ hoch - bei Neupatienten.

Als Basistherapeutikum hat sich Methotrexat durchgesetzt, ein Mittel, das in sehr hoher Dosierung auch zur Bekämpfung von Krebszellen eingesetzt wird. Erst seit rund einem Jahrzehnt wird bei der Therapie auf die Kombination mit Biologika gesetzt, die aus lebenden Organismen hergestellt werden und gezielt in Entzündungsprozesse eingreifen, indem sie entzündungsfördernde Botenstoffe blockieren und die Aktivierung von Immunzellen hemmen. Rheumatologe Herold nennt die Präparate "das Aushängeschild der neuartigen Rheumatherapie", denn sie würden vor allem jenen Patienten helfen, die auf Methotrexat nicht zufriedenstellend ansprechen - was bei rund zwei Dritteln aller Patienten der Fall sei. Bei der Therapie mit Biologika treten laut Herold sehr selten Komplikationen auf. Am häufigsten werde die Therapie abgebrochen, "weil die Mittel bei rund einem Drittel der Patienten nicht wirken".

Frage der Berechnung

Die aussichtsreiche Therapie hat natürlich ihren Preis. In Deutschland gibt es Berechnungen, wonach die Kosten für eine Behandlung mit Biologika 25.000 Euro pro Patient und Jahr ausmachen. Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland im Jahr 2009 insgesamt 4,5 Milliarden Euro für gentechnisch hergestellte Medikamente ausgeben wurden, das entspricht 16 Prozent der Gesamtausgaben. Ein großer Teil davon entfällt auf die Behandlung von rheumatischen Erkrankungen. Schätzungen zufolge wird sich der Anteil bis ins Jahr 2020 auf mehr als 20 Prozent erhöhen. Herold bestätigt, dass die "Biologicals" zwar zu den teuersten Medikamenten überhaupt gehören, man müsse dabei aber "die Gesamtkosten betrachten, die ein chronisch Kranker verursacht, der oft nicht arbeiten kann und für den Rest seines Lebens in Behandlung sein wird". Wenngleich die Berechnung schwierig sei, würde sich der Einsatz der teuren Medikamente unter diesen Umständen lohnen, meint Herold.

Es gebe jedenfalls Hinweise, dass ein früher Einsatz von Biologika erfolgversprechend sei, sagt Herold - eine Erkenntnis, die auch Ludwig Erlacher teilt. "Rheumatoide Arthritis galt klassisch als unheilbare Krankheit. Bei einem frühen Behandlungsbeginn könnte bei rund zehn Prozent der Patienten eine vollständige Heilung erzielt werden", sagt dazu der Rheumatologe vom Kaiser-Franz-Josef-Spital. Dabei helfen soll die von ihm initiierte Info-Offensive, die eine Neuauflage der Informationsbroschüre "Rheuma verstehen" und eine neu entwickelte Smartphone-App namens "Rheuma aktiv" beinhaltet. Sie ist kostenlos im App-Store erhältlich und bietet neben allgemeinen Informationen auch persönlich zugeschnittene Hilfestellung - etwa eine Erinnerung für die Medikamenteneinnahme und Tipps fürs richtige Bewegungstraining. (Fabian Graber, DER STANDARD Printausgabe, 28.11.2011)