Es sei die härteste Stunde ihres Lebens gewesen, berichtete die TV-Reporterin Caroline Sinz für einmal in eigener Sache. Während ihrer Berichterstattung über die Unruhen in Kairo griffen sie rund zwanzig junge Männer in einer Seitenstraße des Tahrir-Platzes an. Ihr Kameramann sei von ihr getrennt worden, erzählte die bekannte Journalistin des Senders France-3. Dann habe ihr die "Meute" die Kleider vom Leib gerissen und eine dreiviertel Stunde lang in einer Art misshandelt, die "der Definition der Vergewaltigung entspricht" . Umstehende hätten ihr vergeblich zu helfen versucht, meinte Sinz, um anzufügen: "Ich dachte, ich würde sterben."

Im Februar war fast am gleichen Ort die Starkorrespondentin Lara Logan des US-Senders CBS sexuell angegriffen worden. Kurz vor Caroline Sinz berichtete auch die ägyptisch-amerikanische Journalistin Mona Al Tahawy, sie sei in Polizeihaft von Männern eine Stunde lang geschlagen und "durch zahlreiche Hände" sexuell missbraucht worden.

Die Täter sind unbekannt. Spekuliert wurde, dass absichtlich attraktive, wenn möglich blonde Frauen ausgewählt würden; man misshandle sie möglichst lang, lasse sie aber bewusst am Leben, damit sie über das Vorgefallene berichten können.

Die in Paris ansässige Berufsorganisation "Reporter ohne Grenzen" berichtet von über 30 ähnlichen, wenn auch weniger gewaltsamen Übergriffen in Ägypten. Seit vergangenem Samstag seien zudem 19 Journalisten und Blogger verhaftet worden. Die Organisation rechnet mit einer Zunahme der Gewalt gegen Presseleute und forderte die Redaktionen am Freitagmorgen auf, "vorläufig" keine Reporterinnen mehr nach Kairo zu schicken: "Es ist traurig, so weit zu gehen, aber angesichts der Gewalt und dieser Aggressionen gibt es keine andere Lösung."

In Paris selbst kritisierten Medienvertreterinnen diesen Aufruf aber als "enttäuschend" und "erbärmlich" . Man dürfe sich auf keinen Fall der Gewalt und dem Druck der Täter beugen. Die aus Kairo für Radio France berichtende Journalistin Claude Guibal wies darauf hin, dass sehr viele Ägypterinnen täglich über sexuelle Belästigungen klagten.

Am Nachmittag nahm die Organisation den Aufruf wieder zurück. Sie empfiehlt nun "spezielle Schutzmaßnahmen" für Journalistinnen. Logan verfügte über Leibwächter - sie hatten aber gegen die Angreifer keine Chance. (Stefan Brändle aus Paris /DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2011)