Die Finanzkrise ist in der Tat auch eine Kapitalismuskrise, aber nicht in dem Sinn, wie die linksalternativen Kritiker und Verächter meinen (weil der Kapitalismus oder eher die Marktwirtschaft einfach böse sind). In groben Zügen (und großteils den Gedanken des österreichischen Ökonomen Streissler folgend) lässt sich das so skizzieren: Seit über einem Jahrzehnt, wenn nicht noch länger, hat sich in der industrialisierten Welt ein riesiger Überschuss Finanzkapital gebildet, der keine geeigneten Anlagemöglichkeiten in der Realwirtschaft findet. Vor allem deswegen, weil das Kernland des Kapitalismus, die USA, sich rapide entindustrialisieren. Die Fantastilliarden schwappen nun herum und suchen eine Veranlagung wiederum in der Finanzwirtschaft (41 Prozent der Gewinne in den USA stammen bereits aus der Finanzindustrie).

Gleichzeitig haben die westlichen Industriestaaten ein System von Ausgaben aufgebaut, das nur noch über Schulden zu finanzieren ist. Wieder stark vergröbert: Die USA haben das in ein überdimensioniertes Militär und in immens teure, ungewinnbare Kriege in der muslimischen Welt gesteckt; Europa in den Aufbau eines Wohlfahrtsstaates, der teils berechtigt und auch finanzierbar, teils aber nur zu Privilegien durchsetzungsstarker Gruppen degeneriert ist, jedenfalls aber nur noch auf Schulden finanziert wird.

Die Staatsschulden haben aber inzwischen eine Größenordnung erreicht, die die Regierung zwingt, etwas zu unternehmen. Allerdings hat die Politik - ganz besonders in Österreich - lange, viel zu lange verabsäumt, die unbequeme Wahrheit auszusprechen: Mit Steuererhöhungen allein wird es in Hochsteuerländern (und das sind in Europa fast alle) nicht gelingen, die Schulden auf ein finanzierbares Maß zu drücken. Es wird auch Einsparungen geben müssen, oder eher Umschichtungen - vom rein konsumierenden Bereich in einen produzierenden.

Denn, und damit sind wir wieder beim großen Bild der Krise des Kapitalismus, es fehlt an Möglichkeiten, in die reale Wirtschaft zu investieren und damit das Wachstum wieder anzukurbeln. Das heißt, es fehlt eigentlich nicht daran - the next big thing wäre die Umwelttechnologie. So wie die großen technologischen Schübe der Vergangenheit - Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrizität, Großchemie, Automobilindustrie, Elektronik, Internet - jeweils einen Boom ausgelöst haben, so könnten Investitionen etwa in das Riesenprojekt von Strom aus Kollektoren in Nordafrika ("Desertec") die europäische Wirtschaft wieder anschieben.

The next big thing ist bereits da, es konzentrieren sich nur zu wenige darauf. Eine Generation von smart guys mit Gelhaar in der Finanzwirtschaft will weiterhin damit reich werden; und eine ältere Generation von Besitzstandswahrern im geschützten Sektor will auf ihre Alimentation nicht verzichten. Dass dies nur noch auf Schulden geschieht, ist ihren Vertretern in ÖGB, AK, Beamtengewerkschaft und im Politikbetrieb (noch?) nicht beizubringen. Auch jetzt noch nicht, da die Regierung erschrickt, weil man uns plötzlich nicht mehr so leicht Geld borgen will. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.11.2011)